taz-Schnelldurchlauf Eurovision Song Contest: Zweitbester Hut nach Kroatien!

Am Samstag (ARD, 21 Uhr) steigt in Belgrad der 53. Eurovision Song Contest. Ein Überblick über alle 25 hoffnungsfrohen Finalisten - gehässig, glühend, fachkundig.

Vorsicht vor den Windmaschinen: No Angels. Bild: ap

1. Rumänien

Nico & Vlad Mirita: "Pe-o Margine De Lume". Pompöser Auftakt im Ceaucescu-Stil; ein opernhaft singender Mann buhlt um eine etwas zögerliche Dame, die allerdings auch eine große Stimme hat.

2. Vereinigtes Königreich

Andy Abraham: "Even If". Sydney Youngblood reloaded. Ein Mann von der Müllabfuhr, der per Umschulung ins Showbizz fand. Gefällige Tanzschrittchen, die stimmliche Mängel wettmachen.

3. Albanien

Olta Boka: "Zemren e lame peng". Blutjunge Nachwuchskraft aus Tirana, die unerwartet ins Finale kam. Eine Ballade, wie sie leichter nicht plätschern kann.

4. Deutschland

No Angels: "Disappear". Kriegen die vier jungen Frauen verdaut, dass ihr Comeback floppte? Der von Dänen gebastelte Song kommt fast ohne Melodie aus. Einzige Fragen: Werden sich ihre bunten Tücher in der Windmaschine verheddern?

5. Armenien

Sirusho: "Qele, Qele". Klingt wie eine Koproduktion zwischen Griechenland und der Türkei. Sehr flott. Die Sängerin weiß, wie man auf der Bühne um Applaus bettelt, ohne wie eine Bedürftige zu wirken. Okay!

6. Bosnien & Herzegowina

Laka: "Pokusaj". Darf man als Kleinkunst einordnen. Strickende Frauen als Hintergrundchor, eine Sängerin, die um eine Wäscheleine herum turnt. Eine alternative Brautschau, die als Kritik an Patriarchat und Zwangsheirat verstanden werden will. Extragut!

7. Israel

Boaz Mauda: "The Fire In Your Eyes". Wenn er sein Schiesser-Unterhemd trägt wie in der Generalprobe und nicht den anthrazitfarbenen Hotelpagenkittel wie beim Halbfinale, kommt er weit. Sein Chor tanzt modernen Kibbuzim. Dana International ist die Mutter der Kompanie.

8. Finnland

Baumarkt-Hardrock: Teräsbetoni, Finnland. Bild: ap

Teräsbetoni: "Missä Miehet Ratsastaa". Hardrockmucker, die über das Leiden am Samstagnachmittag singen, an der Kasse des örtlichen Baumarkts nicht zahlen zu können. Wütend-anmutige Performance von Kerlen mit langen Haaren im Harley-Davidson-Style.

9. Kroatien

Kraljevi Ulice & 75 Cent: "Romanca". Einer der charmantesten Songs des Abends, eine Ode an eine alte Dame, die sich - wie immer - noch ein wenig ziert. Balkantango, echte gute Volksmusik. Der Rapper heißt Ladislav Demeterffy und ist mit 75 Jahren der älteste ESC-Performer aller Zeiten - und offenbar Fan des US-Rappers 50 Cent.

10. Polen

Isis Gee: "For Life". Spielt längst in der Champions League des Pops, unter anderem arbeitete sie beim Schiller-Projekt mit. Ihre Ballade ist eher von der Stange, aber ihre Stimme ist magnifizent. Ausstrahlung der Chanteuse: artifiziell mit sündhaft teuren Kronenreihen.

11. Island

Euroband: "This Is My Life". Das wird der Schlager der diesjährigen CSD-Saison. Brutal lärmender Homopop, sie kreischen und grölen. Eine Entdeckung von Landsmann Paul Oscar - der Shirley Bassey so verehrt wie die Eurovision, daher der Titel.

12. Türkei

Mor & Oetesi: "Deli". Rock vom Bosporus, selbstbewusst dargereicht. Krach und Grazie zweier Männer in einem, wobei einer der beiden aussieht wie Moritz Bleibtreu mit Piratenbärtchen. Erfrischend, nach so vielen Liedern aus diesem Land, die sich vorsichtshalber eines Döner-Pop-Sounds ohne scharfe Zutaten bedient hatten.

13. Portugal

Vania Fernandes: "Senhora do Mar". Frischgebackene Portugal-sucht-den-Superstar-Siegerin. Beste Frisur des Abends. Ihr in weiße Gewänder gepackten ChoristInnen waren in dieser Show ihre Gegner. Klingt wie Army of Lovers "Crucified" nach Fado-Art. Grandios!

14. Lettland

Pirates of the Sea: "Wolves of the Sea". Dschinghis Khan, 29 Jahre danach. Das nervigste Lied dieser Saison. Alles, was an dem deutschen Song von 1979 noch unfertig wirkte, ist nun perfektioniert - könnte, leider, gewinnen.

15. Schweden

Charlotte Perelli: "Hero". Die Gewinnerin des ESC 1999 in Jerusalem ist noch muskulöser, noch schlanker, noch perfekter, noch schönheitskorrigierter geworden. Sie ist vom Typus das klassische Charlotte-Roche-Feindbild (Schönheitswahn!). Konsequenter Europop!

16. Dänemark

Zweitbester Hut nach Kroatien: Simon Matthews, Dänemark. Bild: ap

Simon Matthews: "All Night Long". Macht einen auf Roger Cicero und singt ne Nummer, die Smokie irgendwie zurecht in der Schublade gelassen haben. Kommt bei den Mädels gut an, heißt es. Zweitbester Hut nach Kroatien!

17. Georgien

Diana Gurtskaya: "Peace Will Come". Yoko Ono hätte sich nicht für diesen Hare-Krishna-Groove geschämt. Das Bettlaken, von Bosniens Wäscheleine geklaut, ist das skurrilste Bühnenaccessoire des Abends. Favorisiert!

18. Ukraine

Ani Lorak: "Shady Lady". Hochleistungsturnende Dampfsingmaschine aus Kiew. Möglicherweise scheitern ihre Ansprüche am Gel, das sie überreichlich ins Haar geknetet tragen wird. Sie wirkt erschöpft am Ende ihrer gefühlten 20 Minuten: nicht vorteilhaft.

19. Frankreich

Sébastien Tellier: "Divine". Einziges Lied, das nicht in einer Vorentscheidung ausgewählt wurde. Der Mann sieht verheerend aus; die Haare eine Katastrophe; die Stimme knödelt. Bühnenboden beachten: Er wird sich vor Lampenfieber gewiss einnässen.

20. Aserbaidschan

Elnur & Samir: "Day After Day". Kastratisches Inferno aus Baku, ausgeschmückt in weiße Federn, grelle Stimmen dazu. Die Kamera weiß gar nicht, welchen Schnickschnack dieses Acts sie zuerst einfangen soll. Überheiztes Debüt dieses Landes beim ESC.

22. Spanien

Rodolfo Chikilicuatre: "Baila El Chiki-Chiki". Feznummer jenes Landes, das uns unter anderem "Eres tu" (1973) und "La La La" (1968) geschenkt hat. Komiker Fernández Ortiz aus Barcelona kam zur Fahrkarte nach Serbien per Internetvotum - das er haushoch gewann.

23. Serbien

Jelena Tomasevic feat. Bora Dugic: "Oro". Komponist Zejlko Joksimovic hat ihr dieses lyrische Lied persönlich geschrieben. Es handelt von der Liebe, vom Warten auf sie und von Sehnsucht. Zwischen den Zeilen eine Ballade, die den Kummer um den Verlust des Kosovos besingt.

24. Russland

Dima Bilan: "Believe". Zehn Millionen Euro sind in diesen Auftritt investiert worden; alles beim knopfäugigen Sänger riecht nach russischem Neoprotz. Schnulze, die von US-Top-Producer Jim Beanz (Timbaland Productions) produziert wurde. Hoch favorisiert!

25. Norwegen

Maria: "Hold On Be Strong". Sympathisches Pummelchen mit den allerschönsten Gesten auf der Bühne. Das Kleid, in einem glühenden Blau, ist ihre halbe Miete. Altmodischste, netteste ESC-Performance dieses Abend, erinnert leicht an Wencke Myhre in Blond.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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