Alvar Freude über den Netzsperren-Stopp: "Sperrlisten sind schlicht ein Misserfolg"

Alvar Freude vom AK Zensur über den Stopp der umstrittenen Netzsperren, die Strategien verschiedener Staaten gegen Kinderpornografie und eine mögliche EU-Richtline.

Sogar in Hannover: Anti-Netzsperren-Proteste im Herbst 2009. Bild: ja.gosmann | CC-BY 2.0

taz: Die Regierungskoalition hat beschlossen, das umstrittene Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben. Eine Zensur des World Wide Web wird es vorerst nicht geben. Hat Sie das überrascht?

Alvar Freude: Ich hatte darauf gehofft. Das Gesetz konnte so nicht mehr durchgewunken werden. Sogar der CSU-Netzrat hat sich mittlerweile gegen Internet-Sperren ausgesprochen (PDF). Das BKA konnte auch keine realistischen Zahlen mehr liefen. Es ging nur noch darum, den Kampf gegen Kinderpornografie im Internet zu optimieren.

Wer hat gegen wen gesiegt – die FDP gegen die CDU/CSU oder die Netzgemeinde gegen die Generation Internet-Ausdrucker? Hat sich das BKA als maßgeblicher Befürworter der Internet-Sperrgesetze jetzt blamiert?

Das Bundeskriminalamt ist damit gescheitert, sich zusätzliche Kompetenzen anzueignen. Schon vor rund zehn Jahren forderte man Internet-Zensur gegen Rechtsextremismus. Aber erst mit dem Thema Kinderpornografie konnte man die Idee, Websites zu sperren, einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln. Die Zensur-Lobby hat auch gehofft, die Intrastruktur nutzen zu können, um andere Inhalte zu sperren, nicht nur Kinderpornografie. Das ist jetzt vorbei.

Vier Netzaktivisten haben im Februar 2011 Verfassungsbeschwerde gegen die "Internet-Sperren" beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat das Vorhaben als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. Hatte die Regierung Angst, wieder mit einem Gesetz zu scheitern?

Die meisten Juristen waren ohnehin der Meinung, dass Zugangserschwerungsgesetz sei in Teilen verfassungswidrig. Es gab natürlich eine Minderheit, die das anders sah. Die Diskussion ging eher um Formalien, wer etwa zuständig sei, der Bund oder die Länder, und ob Webs-Sperren verhältnismäßig seien. Das Gesetz ist im Hauruck-Verfahren gemacht worden. Es hat nicht überrascht, dass Juristen im nachhinein die Köpfe schüttelten, als man genauer hinsah.

ALVAR FREUDE , geb. 1972, ist Diplom-Kommunikationsdesigner und arbeit als freiberuflicher Software-Entwickler und Autor. Freude ist Mitgründer des Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur), der die politischen Initiativen gegen die Internet-Sperr-Pläne der Bundesregierung koordinierte.

Im Jahr 2002 organisierte er eine Online-Initiative gegen die Internet-Zensur in Nordrhein-Westfalen, die die Bezirksregierung Düsseldorf eingeführt hatte. Freude ist Sachverständiger der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages.

130.000 Menschen haben online die Petition gegen das Zensur-Gesetz unterzeichnet – so viel, wie zum Beispiel im Landkreis Starnberg wohnen. Ist deren Meinung repräsentativ?

Diese Petition war die erfolgreichste Online-Initiave überhaupt. Sogar die Bild-Zeitung und der ADAC haben mit ihrer Kampagne, die Benzinpreise zu senken, nicht so viele Leute aktivieren können.

Laut einer Meinungsumfrage von Infratest dimap im Jahr 2009 im Auftrag der Deutschen Kinderhilfe waren 92 Prozent der Befragten dafür, Websites zu sperren. Woher kommt der plötzliche Mut der Regierung, sich gegen das Volksempfinden zu stellen?

Es gab auch eine Umfrage des selben Instituts mit dem gegenteiligen Ergebnis. Viele, auch in den Parteien, haben eingesehen, dass man diese Inhalte wenn möglich besser entfernen sollte, statt zu versuchen, irgendwelche technischen Sperren zu errichten. Die Formel "Löschen statt Sperren" ist eine Metapher. Es geht nicht um eine Alternative, sondern darum, wie man am effektivsten dagegen vorgeht.

Wie kann man Inhalte in Ländern löschen, in denen bestimmte Formen der Pornografie, die in Deutschland verboten sind, gar nicht unter Strafe stehen – wie etwa die in Japan populären Websites mit Hentai-Comics?

Die Darstellung sexuellen Missbrauchs ist weltweit geächtet, das ist unstrittig. Es gibt aber unterschiedliche Gesetze bei virtueller Pornografie. Letztlich ist das eine moralische Frage. Wir müssen akzeptieren, dass andere Länder andere Traditionen und Normen haben als wir.

Das World Wide Web ist gar nicht der wichtigste Dienst im Internet, Kinderpornografie zu verbreiten. Was kann man gegen derartige Angebote etwa in Online-Tauschbörsen oder im Usenet tun?

Die Polizei ist sehr erfolgreich im Kampf gegen Kinderpornografie in Tauschbörsen. Die IP-Adressen der Anbieter können in Echtzeit abgefragt werden, ganz ohne Vorratsdatenspeicherung. Dann kann sofort dagegen vorgegangen werden. Das Usenet spielt heute keine Rolle mehr. Gegen die individuelle Kommunikation, etwas per verschlüsselter E-Mail, kann man nichts tun. Damit muss man sich abfinden.

Laut einer Studie der European Financial Coalition (PDF) gibt es nur eine Handvoll einschlägiger gewerblicher Websites, die zudem keinen hohen Profit abwerfen. Warum plante die Politik ein eigenes Gesetz, um gegen die Angebote vorzugehen?

Weil die skandinavischen Länder das auch gemacht haben, dort gibt es schon mehrere Jahre Sperrlisten von Websites. Die sind aber weder aktuell noch sind die dort aufgeführten Angebote wirklich Kinderpornografie. Wir haben in Stichproben zum Beispiel festgestellt, das von 190 blockierten Websites nur vier etwas enthielten, das man nach deutschem Recht als kinderpornografisch hätte bezeichnen können. Diese Sperrlisten sind schlicht ein Misserfolg – die Fakten sprechen für sich.

Die EU-Kommissarin Cecilia Malmström hat mit einer EU-Richtlinie versucht, die Internet-Sperrlisten für alle europäischen Länder zur Pflicht zu machen. Alle EU-Staaten sollten verpflichtet werden, kinderpornographische Websites zu blockieren. Kann sich Deutschland da abkoppeln? Wird ein Zensur-Gesetz nach Maßgabe der EU kommen?

Der aktuelle Stand der Diskussion ist, dass die Länder nicht verpflichtet sind, diese EU-Richtlinie umzusetzen. Websites mit kinderpornagrafsichen Inhalten müssen aber jetzt immer gemeldet werden. Dänemark zum Beispiel hat das bisher oft lasch gehandhabt: Gegen Websites aus den USA ging man kaum vor, weil es keinen Aussichten auf Erfolg beim Löschen gab. Das Regelwerk der EU ist daher für Großbritannien oder Skandinavien sogar ein Fortschritt.

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