Ausstellung türkischer Kunst: Der deutungsbedürftige Ohrring des Sultans

In Goslar werden 100 türkische Kunstwerke aus den vergangenen 60 Jahren gezeigt: Farbige Abstraktionen, Pop-Art mit Regionalbezug und ab und an speziell Türkisches.

Kezban Arca Batibeki: Sag nichts, 2007 Bild: Museum

Die moderne Kunst ist in der alten Kaiserstadt Goslar in einem knapp 500 Jahre alten Fachwerkbau zu Hause. Das sorgt für Kontraste, die mit der jährlichen Verleihung des "Kaiserrings" an herausragende internationale Künstler der Gegenwart noch besonders ausgereizt werden. Wenn jetzt in einer so deutlich deutschen Umgebung Teile einer türkischen Privatsammlung ausgestellt sind, zerfallen manche Vorurteile: Weder spielt das - ohnehin nie explizit ausgesprochene - islamische Bilderverbot eine Rolle, noch stört altes Fachwerk die Präsentation.

Im aktuellen Kunstbetrieb sind türkische KünstlerInnen nichts Ungewöhnliches mehr. Doch bei der Sammlung Huma Kabakci geht es weniger um spektakuläre Medienkunst wie beispielsweise bei der in Berlin lebenden und an deutschen Hochschulen lehrenden Ayse Erkmen, sondern um einen Rückblick auf die türkische Kunst der vergangenen 60 Jahre.

Vorrangig Malerei gesammelt hat der erfolgreiche Unternehmer Nahit Kabakci, vor allem von KünstlerInnen, die in der Türkei gearbeitet haben und nicht in die internationalen Metropolen abgewandert sind. Kabakci hat die Sammlung nach seiner Tochter Huma benannt. Da er vor kurzem überraschend verstorben ist, ist die erst 19-jährige Kunstgeschichtsstudentin jetzt auch die Leiterin der Sammlung.

Von deren etwa 2.000 Werken hat Tayfun Belgin, der Direktor des Osthaus-Museums in Hagen, etwa 250 für eine Wanderausstellung ausgewählt, die anschließend ins ungarische Pécs geht, eine der diesjährigen europäischen Kulturhauptstädte. Für ihre Zwischenstation in Goslar musste die erstmalige Präsentation einer türkischen Privatsammlung in deutschen Museen aus Platzgründen auf etwa 100 Werke reduziert werden. Sie leistet dennoch einen guten Einblick in die Entwicklung und den Stand der Szene am Bosporus.

Die Kunst aus der Türkei sei in der Welt angekommen, schreibt Tayfun Belgin im Katalog. Und er meint damit die Welt der internationalisierten, gleichwohl von westlichen Kulturvorstellungen dominierten Kunst. Nun liegt noch darin eine Hierarchisierung. Denn das hätte man ja auch schon sagen können, als so manche türkische Maler sich der Abstraktion befleißigten und dafür auf dem internationalen Kunstkritikerkongress der Aica 1954 in Istanbul gelobt wurden.

Bis heute bestehen die Farbsetzungen und Lichtkonstruktionen der Bilder von Ferruh Basaga, geboren 1914, jeden Vergleich mit der europäischen Kunst ihrer Zeit. Doch solche Vergleiche werden inzwischen gar nicht mehr gesucht: Seit den neunziger Jahren hat sich die türkische Kunstszene emanzipiert und ist quantitativ und qualitativ stürmisch gewachsen.

Istanbul mit seiner Biennale und den neuen Museen gilt inzwischen als ein international angesagtes Kunstzentrum. Die in Material und Motivik höchst individuellen, häufig aus "Kraftliner"-Spezialpapier geschnittenen Bildfindungen eines Güclü Öztekin etwa entfalten aus sich selbst eine beeindruckende Wirkung. Eine darüber hinaus Interesse weckende oder gar schützende nationale Zuordnung haben sie nicht mehr nötig.

Nur ist solche im Wortsinne vollzogene Abgehobenheit nicht unbegrenzt möglich. Paradoxerweise legt der internationale Kunstbetrieb mit seinen Stipendien und Biennalen gerade Wert auf regionale Elemente und kulturelle Besonderheiten. Und so sind eben doch viele der Bildelemente der aktuellen Kunst im speziellen Kontext zu lesen. Es ist wichtig, von wem und wo eine mit kritischem Bildtitel versehene verschleierte Frau gemalt wurde.

Auch bleibt die symbolische Aufladung der Zeichen stets verschieden. Ohne zu wissen, dass die Rose ein Zeichen der Liebe Mohammeds zur Schöpfung ist und dass sie im Porträt von Mehmet II., des Eroberers von Konstantinopel, prominent auftaucht, ist eine Installation wie die von Ardan Özmenoglu mit deren herabgefallenen Blüten schwer zu verstehen.

Und es schadet nicht, wenn bei dem im Fellmuster einer Kuh verborgenen Porträt das Profil von Sultan Selim dem Gestrengen erkannt wird. Die Referenzen zur Pop-Art in Warhols Sinne erkennen die westlich geschulten Betrachter schon schneller. Selbst das Material dieser als Titelbild des Katalogs herausgehobenen Arbeit des 1980 geborenen Erinc Sehmen - Stickerei und Pailletten auf Satin - hat seine besonderen Konnotationen.

Erst recht gilt das für den demonstrativ dargestellten Ohrring des Sultans. Die dem Künstler gut bekannte Schwulen- und Transvestitenszene wird diesen wohl nicht unbedingt als ein Sklavenzeichen deuten, das die Unterwerfung unter Allah betonen soll. Hört man also neben sich einen Besucher sagen, er verstünde diese Kunst leider gar nicht, so muss das nicht unbedingt daran liegen, dass diese aus der Türkei kommt.

Aber auch wer kommt, um speziell Türkisches zu sehen, wird durchaus fündig: Zwei ganze Räume glänzen mit den herausragenden Fotografien von Ara Güler. Das Mitglied der berühmten Magnum-Agentur hat in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in stimmungsdichten Schwarz-Weiß-Fotos seine Heimatstadt Istanbul und deren Menschen erfasst. Welche Sehnsucht, welche Melancholie liegt in den Augen des alten Trinkers oder in dem Bild des hinter zwei einsamen Stühlen mit seinen unscharfen Lichtern in die Nacht entschwindenden Bosporus-Dampfers?

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