Jens Böhrnsen über die Bürgerschaftswahl: "Es gibt eine Perspektive für Bremen"

Dass Opposition und Debatten im Bremer Wahlkampf so schwach bleiben, wertet der Bürgermeister als Ausdruck einer erfolgreichen rot-grünen Legislatur: Die habe dem Stadtstaat schließlich einen Ausweg aus der Notlage eröffnet.

Jens Böhrnsen: "Unsichtbar wird das Sparen nicht sein." Bild: Nikolai Wolff/Fotoetage

taz: Herr Böhrnsen, machen Sie sich Sorgen um die Opposition?

Jens Böhrnsen: Müsste ich das?

Na, der Wahlkampf ist zumindest sehr streitfrei…

Augenscheinlich bietet die Koalition keine großen Angriffsflächen, sondern macht Politik, die breite Zustimmung in der Stadt findet. Von daher ist es fast verständlich, dass der Opposition die Wahlkampfthemen fehlen.

Aber ohne polarisierende Debatte sinkt die Wahlbeteiligung. Stört Sie das nicht?

Ich gehe davon aus, dass eine Politik, die in den letzten vier Jahren überzeugt hat, Menschen auch bewegt, zur Wahl zu gehen. Außerdem setze ich darauf, dass unser neues Wahlrecht auch Leute anspricht.

Das gilt doch als so kompliziert!

Das ist eine Mär. Es wird jedem gelingen, fünf Kreuze zu machen. Viele machen ohne Probleme Woche für Woche sogar sechs Kreuze auf dem Lottoschein. Unsere Aufgabe bis zur Wahl ist es, den Verdacht, das Wahlrecht sei kompliziert, zu zerstreuen - und den Leuten nahe zu bringen, dass es eine Chance ist.

Jens Böhrnsen, 61, ist seit 2005 Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen, zunächst getragen von einer großen, seit 2007 von einer rot-grünen Koalition. Zuvor war er Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bürgerschaft, ein Amt, das auch schon sein Vater, der von den Nazis verfolgte AG Weser-Betriebsrat Gustav Böhrnsen, innehatte. Abitur und Zivildienst macht er in Bremen, in Kiel und Hamburg studierte er Jura. Dann wurde er in Bremen Verwaltungsrichter. In einer Direktwahl bekäme er laut Infratest dimap 70, seine CDU-Konkurrentin Rita Mohr-Lüllmann 12 Prozent der Stimmen. Er besitzt keine Märklin-Eisenbahn.

Und die fehlende Polarisierung wäre kein Ausdruck der Resignation vorm Schuldenberg?

Das wäre ja nur ein Thema. Aber gerade bei Landtagswahlen polarisiert doch oft die Schulpolitik. In Bremen haben wir da von der CDU bislang nur den Knüller vernommen, wieder Samstags-Unterricht zu erteilen. Mehr nicht.

Doch, den Vorschlag eines bundesweiten Zentralabiturs…!

Ach ja. Auch so ein Aufregerthema. Und so bremenspezifisch! Nein, dass Bildungspolitik in diesem Wahlkampf keine Rolle spielt, zeigt, dass wir hier eine erfolgreiche Schulreform hinbekommen haben. Und was das andere Thema angeht…

…die Finanzen?

Ja. Da haben wir uns, also rot und grün, Karoline Linnert und ich, in gutem Zusammenwirken mit Bund und Ländern auf einen Weg verständigt. Der besteht aus der Eigenanstrengung, das Finanzierungsdefizit zu verringern, aus dem Einsatz für einen gerechteren Finanzausgleich...

…und aus 300 Millionen Euro jährlichen Konsolidierungshilfen: Manche sagen, da hätte Bremen zu wenig gefordert.

Ja, das wird gesagt. Aber in der Föderalismus-Kommission saßen tatsächlich nicht nur Leute, die meinten, Bremen müsse nur seine Forderungen beziffern, damit sie uns das Geld überweisen dürfen. Man sollte nicht vergessen: Wir bekommen nicht zum ersten Mal Hilfe. Und es war alles andere als selbstverständlich, dass Bremen von Bund und Ländern weiter unterstützt wird. Das waren schwere Verhandlungen. Und wenn man aus denen mit neun mal 300 Millionen, also insgesamt 2,7 Milliarden herauskommt, und damit an der Spitze der Konsolidierungs-Länder steht, dann ist das ein Erfolg.

Der auch Neid weckt?

Ich sage lieber: Das wird außerhalb von Bremen überall als Erfolg Bremens angesehen.

Aber wenn das Land in Karlsruhe mehr erstritten hätte…?

Ich weiß, es gibt im Wahlkampf Traumtänzer, die sagen: Geht zum Bundesverfassungsgericht, holt euch da 4,5 Milliarden ab - und gebt das Geld schon mal im Voraus aus. Das erinnert mich sehr an Zeiten, wo wir auf einen Kanzlerbrief gesetzt hatten…

… ein vermeintliches Versprechen weiterer Beihilfen.

Der Kanzlerbrief ist zu einem werthaltigen Papier gemacht worden, ohne es zu sein.

Sie kannten den damals als Chef der SPD-Fraktion nicht?

Natürlich kannte ich den Kanzlerbrief. Aber es war ein CDU-Finanzsenator, der ihn mit einem Wert von 500 Millionen Euro als Einnahmeposition in den Haushalt eingetragen hat.

Sie waren zum Schluss sogar Bürgermeister des Kanzlerbrief-Senats!

Als ich ins Amt des Bürgermeisters kam, war die Kanzlerbrief-Frage längst erledigt, die Sanierungshilfe ausgelaufen, und Bremen finanzpolitisch ohne Ausweg. Heute können wir sagen: Es gibt eine Perspektive für Bremen. Und die ist real - nichts, was am Ende nicht eingelöst würde. Die Perspektive steht im Grundgesetz. Da steht ein konkreter Anspruch für Bremen. So etwas gab es noch nie. Das darf man nicht gering schätzen.

Die Perspektive hat aber heikle Bedingungen…

Es gibt die klare Erwartung an uns, das Geld nicht einfach auszugeben, sondern es zur Reduzierung unseres Finanzierungsdefizits zu verwenden.

Was in der Stadt Sorgen bereitet: Wenn Sie ein Sparen versprechen, das die BürgerInnen nicht merken, und gleichzeitig den Wegfall von 950 Stellen ankündigen, fragt sich jeder: Wie soll denn das gehen?

Wir wollen eine Politik mit sozialen Schwerpunkten. Das bedeutet, in manchen Feldern weniger, in anderen mehr auszugeben, etwa beim Schutz unserer Kinder: Fürs Kindeswohl haben wir 2006 insgesamt 70 Millionen ausgegeben, jetzt sind es 140 Millionen. Das ist kein zusätzliches Geld. Das haben wir regelrecht zusammengekratzt.

Ja, aber wie?

Dort, wo unmittelbar die BürgerInnen mit ihren berechtigten Erwartungen an staatliche Leistungen berührt sind, muss man diese aufrechterhalten. Stattdessen haben wir uns in den senatorischen Behörden Sparquoten von fünf Prozent auferlegt: Wir müssen die innere Organisation des Staates so verändern, dass sie kostengünstiger funktioniert.

Aber die Schlaglöcher auf den Straßen spürt man doch?

Unsichtbar wird das Sparen nicht sein. Unsere Sparanstrengungen dürfen aber nicht soziale Strukturen der Städte, nicht die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen tangieren. Ich kann doch denen nicht sagen: Im Moment haben wir für eure Chancen kein Geld, aber tröstet euch, bei der nächsten Generation siehts wieder besser aus. Das geht nicht.

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