Eltern stark unter Druck

Alle wollen die Gymnasialempfehlung und sorgen sich, dass ihre Kinder etwas verpassen könnten: Niedersächsische Lehrerverbände beklagen zunehmende Gewalt von Eltern gegenüber Lehrern

„Dass Eltern Lehrer tätlich angreifen, ist extrem selten“, sagt Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Das Institut hat zuletzt 2005 bundesweit 800 Lehrkräfte befragt. 1,2 Prozent erlitten durch Schüler körperliche Gewalt, sexuelle Belästigung oder Bedrohung durch Waffen. Dass Eltern die Täter sind, komme so selten vor, dass es nicht extra abgefragt werde, sagt Pfeiffer: „Das liegt im Null-Komma-noch-was-Bereich.“ Auch das niedersächsische Kultusministerium führt keine Statistik. „Wir können nicht sagen, ob es mehr geworden ist. So etwas hat es immer mal gegeben“, sagt eine Sprecherin. KAJ

VON KAIJA KUTTER

Das gibt es auch. In Hannover bewarf eine wütende Mutter im Streit um ihre zehnjährige Tochter den Leiter einer Grundschule im Problemstadtteil Sahlkamp mit einer Tasse. Diese zerschellte auf dem Tisch des Rektors, die Scherben verletzten den 49-Jährigen an der Hand, die er sich schützend vors Gesicht gehalten hatte.

Der Schulleiter zeigte die Frau an. Sie wurde nun vom Amtsgericht Hannover wegen schwerer Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten und einen Arbeitseinsatz von 300 Stunden verurteilt.

Sie ist bereits die Zweite, die binnen 14 Tagen wegen einer Attacke auf den Schulleiter ihres Kindes vorm Kadi stand. Gerade erst war eine Türkin zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung verurteilt worden, nachdem sie einen Schulleiter als Rassisten beschimpft hatte. „Ungerechtfertigt“, wie das Gericht befand.

Gitta Franke-Zöllmer, die Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), sieht hier einen Trend. „Wir beobachten eine gestiegene Gewaltbereitschaft Lehrkräften gegenüber seit einigen Jahren“, sagt sie. „Eltern werden zunehmend heftiger und üben Druck auf Lehrkräfte aus.“ Dies wisse der Verband, der in Niedersachsen Grund-, Haupt-, Real- und Förderschullehrer vertritt, „vor allem von Rückmeldungen der Schulleiter“. Das Phänomen ziehe sich durch alle Schichten. Dabei komme es häufiger zu verbalen Attacken und seltener zu körperlicher Gewalt. Franke-Zöllmer: „Aber die Schwelle, wo man sagt, da hört es auf, wird niedriger.“

Das Interessante daran: Aus Sicht des VBE ist die Entwicklung politisch bedingt. So gebe es die meisten Konflikte an der „Schnittstelle“ zwischen Grundschule und weiterführenden Schulen. Bis 2004 gab es hier die Orientierungsstufe bis Klasse 6, die aber von der CDU abgeschafft wurde. „Die elterliche Aggression hat erst danach zugenommen. Vorher gab es so etwas an den Grundschulen nicht“, sagt Franke-Zöllmer. „Heute sorgen sich die Eltern schon in der 3. Klasse, was aus ihren Kindern wird.“ Wichtig sei allen die Gymnasialempfehlung. Denn wegen der Schulzeitverkürzung ist ein späterer Wechsel von der Realschule dorthin kaum möglich.

Hinzu komme, dass Eltern erbost seien, weil es in den vollen Klassen die versprochene individuelle Förderung ihres Kindes nicht gebe. So haben Niedersachsens Gymnasien und Realschulen Klassen mit bis zu 34 Kindern. Und an den Grundschulen werden Klassen erst geteilt, wenn in ihnen mehr als 28 Kinder lernen.

„Die Ängste der Eltern sind berechtigt“, sagt die Lehrerin. „Aber wenn so ein aufgebrachter Vater vor Ihnen steht, ist das nicht mehr lustig.“ Es seien häufig Männer, die versuchen, Lehrerinnen einzuschüchtern. Es sei wichtig, das Thema öffentlich zu machen, damit die Politik etwas tue und beispielweise die Schulstruktur überdenke.

„Eltern reagieren heute viel heftiger als früher, aus Angst, ihre Kinder könnten etwas verpassen“, weiß auch der niedersächsische GEW-Chef Eberhard Brandt zu berichten. Dies geschehe schon ab der zweiten Klasse, aber auch am Gymnasium, wo der Druck durchs Zentralabitur wachse. Brandt: „Da heißt es ganz schnell, wenn die Nachbarklasse weiter ist: ‚Oh, der Lehrer hat etwas falsch gemacht‘.“

Brandt hat beobachtet, dass Eltern diesen Druck aber auch verstärkt ablehnen und neue Gesamtschulen fordern, deren Verbot die Landesregierung nun, wie vor der Wahl versprochen, schnell aufheben müsse.

Anders als Franke-Zöllmer liegen Brandt keine Meldungen von körperlicher Gewalt vor. „Dies sind Einzelfälle“, sagt er. Es sei aber richtig und wichtig, dass Gerichte auch bei verbalen Attacken wie Beleidigungen Grenzen setzen, „die Schule ist kein Graubereich wo alles geht“.