Mr. Volksentscheid tritt an

WALTER SCHEUERL Der oberste Verhinderer der Hamburger Schulreform kündigt die Gründung einer Partei an. Bei den etablierten politischen Kräften geht das Zittern los: eine Scheuerl-Partei würde sie Stimmen kosten

Scheuerl weiß, dass Hamburg ein gutes Pflaster für populistisch agierende Wählerinitiativen ist

Er macht es. Walter Scheuerl, Volkes Stimme von eigenen Gnaden, tritt aller Voraussicht nach bei der Hamburger Bürgerschaftswahl an. Noch bevor kommende Woche die endgültige Entscheidung fallen soll, hat der Anwalt, der als Kopf der Hamburger Schulreform-Verhinderer beachtliche Popularität erlangte, angekündigt, zur Hamburger Bürgerschaftswahl antreten zu wollen.

Bis zum 28. Dezember muss Scheuerl die Kandidatur seiner Partei anzeigen, dem Landeswahlleiter Satzung, Programm und Vorstand seiner noch zu gründenden Partei mitteilen. Drei Wochen später, am 17. Januar, müsste er die 1.000 benötigten Unterschriften beibringen und zeitgleich die Kandidatenliste einreichen. „Das lässt sich entspannt machen“, lässt Scheuerl ausrichten.

Bei den Hamburger Parteien löst die Ankündigung alles andere als Freude aus. Die CDU muss damit rechnen, dass die Scheuerl-Stimmen vor allem aus ihrem Fleisch geschnitten würden – der Partei droht der Sturz unter die 30 Prozent-Marke. Zwar lässt Scheuerl offiziell noch offen, mit wem er im Fall der Fälle gerne koalieren würde, doch hat er im Vorfeld bereits durchblicken lassen, dass die SPD für ihn der erste Ansprechpartner wäre.

Den Sozialdemokraten, aber auch der GAL droht bei einem Scheuerl-Antritt der Verlust der rot-grünen Mehrheit, die die Demoskopen derzeit voraussagen. Auch die SPD könnte Wähler an Scheuerl verlieren.

Einpacken kann die FDP, die ohnehin nach allen Umfragen unter fünf Prozent liegt. Die Hoffnung der Liberalen, aus dem Potenzial der Schulreform-Gegner, mit denen sie sich verbündet hatten, genügend Wahlstimmen für einen Einzug in die Bürgerschaft zu rekrutieren, würde sich in Luft auflösen.

Locker „zehn Prozent“ will Scheuerl aus dem Stand holen. Und weiß dabei, dass Hamburg ein gutes Pflaster für populistisch agierende Wählerinitiativen ist: 1993 schaffte die Statt-Partei des CDU-Dissidenten Markus Wegener mit 5,6 Prozent der Stimmen auf Anhieb den Sprung in die Bürgerschaft und regierte vier Jahre mit der SPD. 2001 wiederholte der Richter Ronald Barnabas Schill dieses Kunststück, seine Partei Rechtsstaatlicher Offensive zog mit 19,4 Prozent ins Parlament ein und regierte bis 2003 mit CDU und FDP.

Nach einer Umfrage des Psephos-Instituts von Mitte November wollen vier Prozent aller Hamburger ihr Kreuz hinter eine Scheuerl-Partei setzen. Für weitere 17 Prozent der Befragten käme eine solche Gruppierung bei ihrer Entscheidung zumindest in die engere Wahl. MARCO CARINI