Wahlen in Burundi: Demokratie aus dem Transistorradio

Vor den Wahlen heute schüren Burundis Parteien Kriegsangst. Daher bringen 15 Radiosender ein gemeinsames Programm: Frieden.

Anstehen vorm Wahllokal in Burundis Hauptstadt Bujumbura. Bild: ap

BUJUMBURA taz | Evariste Nzikobanyanka ist gestresst. Schon wieder klingelt das Telefon. Der Burundier schaut gebannt auf den Bildschirm in seiner fensterlosen, gepolsterten Tonkabine, mit der Maus aktiviert er die Aufnahme. Gleichzeitig legt er am Telefon einen Schalter um. Die Stimme des Anrufers wird nun aufgezeichnet.

Dann spricht er ins Mikrofon: "Hallo? Nenn bitte Namen und Standort, bevor du den Bericht absetzt." Am anderen Ende der Leitung meldet sich der Korrespondent aus einem Armenviertel am Stadtrand von Bujumbura, der Hauptstadt von Burundi. In der vergangenen Nacht sind dort zwei Granaten explodiert.

Nzikobanyankas Aufnahmestudio befindet sich im "Haus der Presse" von Bujumbura, nicht weit entfernt vom Hauptquartier der Armee. Auf der Straße marschieren Soldaten. Das "Haus der Presse" ist hinter Mauern verborgen. Im großen Saal im Erdgeschoss, wo sonst Minister Pressekonferenzen geben, sind Tische zusammengerückt. Hinter Laptops hocken Redakteure und schneiden hektisch Tonschnipsel aneinander. In 20 Minuten wird die nächste Sendung ausgestrahlt: eine Bilanz der fünfjährigen Herrschaft von Präsident Pierre Nkurunziza.

Ruanda: Die Macht von Radiosendern im Afrika der Großen Seen zeigte sich beim Völkermord in Ruanda 1994, als Armee und Hutu-Milizen über 800.000 Tutsi töteten. Der Privatsender "Radio des Milles Collines" hetzte gegen die Tutsi-"Kakerlaken" und rief während der Massaker die Bevölkerung auf, "das Werk zu vollenden".

Burundi: Ebenso wie sein Nachbarland Ruanda ist die Geschichte Burundis von einer langen Hutu-Tutsi-Konfrontation geprägt. Ein Bürgerkrieg zwischen Tutsi-dominierter Armee und Hutu-Rebellen ab 1993 forderte 300.000 Tote. Die größte Hutu-Rebellenbewegung CNDD-FDD (Nationalkomitee zur Verteidigung der Demokratie) übernahm 2005 nach einem Friedensabkommen die Macht.

Wahlen: Burundis Präsidentschaftswahl heute boykottiert die Opposition. Es tritt nur Amtsinhaber Pierre Nkurunziza an, der ehemalige CNDD-Rebellenführer. Seine schärfsten Gegner heute sind nicht Tutsi, sondern konkurrierende ehemalige Hutu-Rebellenführer. Sie wollen die Wahlen mit Gewalt verhindern.

Einer hat sich abgesetzt

Für den heutigen Montag sind in Burundi Präsidentschaftswahlen angesetzt, die Stimmung ist aufgeheizt. Mehr als 40 Granaten sind in den letzten zwei Wochen explodiert, 30 Parteibüros der jetzigen Regierungspartei und früheren Hutu-Rebellenarmee CNDD-FDD (Nationalkomitee zur Verteidigung der Demokratie/Kräfte zur Verteidigung der Demokratie) wurden abgebrannt, Dutzende Menschen erschossen.

Der Führer der größten Oppositionspartei und ehemaligen Hutu-Rebellenarmee FNL (Nationale Befreiungsfront), Agathon Rwasa, hat sich aus der Hauptstadt davongestohlen. Es gibt Gerüchte, dass er sich Richtung Ostkongo in die Berge abgesetzt habe, um dort frühere Kämpfer zu mobilisieren.

In der morgendlichen Redaktionskonferenz diskutieren 30 Radioredakteure lautstark darüber. Radiochef Evariste Nzikobanyanka hat am Vortag seine Reporter losgeschickt, um herauszufinden, welche Pläne Rwasa wirklich verfolgt. Dann schwenkt die Debatte um: Wann werden die Wahlergebnisse feststehen? Wohl schon am Dienstag, sind sich die Redakteure einig.

Da die Oppositionsparteien aus Protest über vermeintliche Wahlfälschung bei den Kommunalwahlen im Mai ihre Kandidaten zurückgezogen haben und zum Boykott aufrufen, hat das Volk nur die Möglichkeit, für Präsident Nkurunziza zu stimmen - oder gar nicht zu wählen. Die CNDD-FDD mobilisiert ihrerseits alle Kräfte, um die Wahlbeteiligung hochzuschrauben.

Die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg hat die Journalisten alarmiert. Deswegen haben sich fünfzehn unabhängige Radiostationen zusammengeschlossen, um heute am Wahltag mit geeinter, neutraler Stimme zu sprechen. "Synergy" heißt das Projekt. Rund 50 Redakteure, die von den teilnehmenden Sendern geschickt wurden, haben sich im "Haus der Presse" versammelt.

Und fast hundert Reporter tragen aus dem ganzen Land Nachrichten zusammen. Gemeinsam arbeiten sie an einem Programm, das auf allen Frequenzen ausgestrahlt werden soll. Sie wollen live über Unregelmäßigkeiten berichten, Wähler und Nichtwähler interviewen und direkt nach Schließung der Wahllokale die Ergebnisse melden, damit später nicht mehr betrogen werden kann.

"Wir wollen mit einer Stimme sprechen, um die Bevölkerung nicht noch weiter zu desorientieren", begründet Corneille Nibaruta, Chefkoordinator von "Synergy" und Vorsitzender des Radioverbandes, die Aktion. "Wir wollen unsere Aufgabe als Mediatoren wahrnehmen, sonst explodiert das Land. Wir fordern Politiker aller Parteien auf, sich an einen Tisch zu setzen und der Gewalt abzuschwören."

In keinem anderen Land Afrikas rund um die Großen Seen leisten Journalisten einen so entscheidenden Beitrag zum Dialog und zum Frieden wie hier in Burundi. Als Ikone dieses verantwortungsbewussten burundischen Journalismus gilt Adrien Sindayigaya, Gründer des unabhängigen Radiostudios Ijambo. Der 42-Jährige steht in seinem Büro vor einem Aktenschrank und zeigt auf das Kunstwerk, das daraufgemalt ist: eine Frau, die auf einem Kohleofen Reis kocht und dabei Radio hört; daneben zwei Soldaten, die in der Kaserne sitzen und Radio hören; darunter ein Rebell, der mit Fernglas auf einem Baum Wache hält - und Radio hört.

Aufruf zum Massenmord

"Das Radio ist hier ein sehr mächtiges Medium", sagt Sindayigaya. In einem Land, in dem viele Menschen von nicht mal einem Dollar pro Tag überleben müssen, in dem rund 80 Prozent weder lesen noch schreiben können, ist das Radio das einzige Medium, das alle erreicht.

Was das bedeuten kann, zeigte sich 1994 in Ruanda, als die Hutu übers Radio zum Massenmord an den Tutsi aufgerufen wurden. Burundis Bürgerkrieg hatte damals gerade begonnen: Tutsi-Soldaten hatten den gewählten Hutu-Präsidenten ermordet, Hutu griffen zu den Waffen. Das Armenviertel Kamenge am Rande von Bujumbura, von Hutu bewohnt, wurde von der Armee abgeriegelt. Es entwickelte sich zur Hochburg radikaler Rebellen.

In Kamenge, wo 1993 der Bürgerkrieg begann, haben jetzt junge Männer Trommeln aufgestellt. Die Frauen hinter ihren Gemüseständen singen ein Lied. Ein Priester predigt laut. Viele der Jugendlichen haben Narben im Gesicht, an Armen und Schultern - es sind ehemalige Rebellen. Sie tanzen und singen. Zwischen den jungen Männern steht ein älterer Mann mit Brille. Er hält ein dröhnendes Radio in der Linken. Mit der Rechten salutiert er. Ein Taxifahrer schüttelt den Kopf: "Die Leute in Burundi lassen sich stets von zwei Stimmen verleiten: von der Kirche und vom Radio."

In seinem Büro in Bujumburas Innenstadt seufzt Sindayigaya, wenn er an den Bürgerkrieg zurückdenkt. Dann zeigt er auf die schusssichere Weste, die an einem Haken hängt. "Wir hatten damals, ähnlich wie in Ruanda, auch nur einen einzigen Sender, der mit seinen Hasstiraden ethnische Gewalt entfachte", sagt er. Hutu zogen sich in Hutu-Viertel zurück, Tutsi in Tutsi-Viertel, jeder hatte seine eigene Wahrheit.

"Wir Journalisten beschlossen damals, einen Dialog zu starten", erzählt Sindayigaya. Mit Unterstützung der US-Nichtregierungsorganisation "Search for Common Ground" (SCG) gründete Sindayigaya 1995 mit vier Kollegen mitten in der Hauptstadt das Radiostudio Ijambo. In gemischten Teams aus Hutu und Tutsi zogen sie durch die Stadt. "Wir haben damals sämtliche Tabus gebrochen", lächelt Sindayigaya.

Die Sensation im Studio

Tabus zu brechen - dies wurde zum Leitmotiv von "Studio Ijambo". Sindayigaya lud Hutu- und Tutsi-Politiker zu Talkrunden ein. Der Journalist hatte keine leichte Aufgabe: Immer wieder musste er sie ermahnen, sich nicht gegenseitig zu beleidigen. Eine Sensation gelang ihm im Jahr 2000, mitten im Krieg. Sindayigaya öffnet die Tür zum Studio und zeigt auf das Mischpult. "Ich saß hier mit zwei Offizieren der Armee."

Dann deutet er auf das Telefon: "Über die internationale Leitung haben wir den Rebellensprecher angerufen, der damals in Deutschland im Exil lebte." Dies sei das erste Mal gewesen, dass die Kriegsgegner direkt miteinander gesprochen haben. Es ist nicht zuletzt Journalisten wie Sindayigaya zu verdanken, dass danach ein Friedensprozess begann.

Diese Journalisten sind heute in Burundi eine einflussreiche junge Elite. "Wir haben uns eine relative Unabhängigkeit erkämpft", sagt Corneille Nibaruta, Vorsitzender des burundischen Radioverbandes. Finanziell sei es natürlich schwierig. Kaum ein Unternehmen schalte Werbung, und die Frequenzgebühren seien hoch. Deswegen fürchtete Nibaruta, dass die Parteien diese Finanznot ausnutzen und die Radios als Sprachrohre instrumentalisieren.

Zum Beispiel der Privatsender Rema-FM, der enge Kontakte zur Regierungspartei unterhält. Als einziger Sender hat sich Rema "Synergy" nicht angeschlossen, im Gegenteil: "Dieser Sender macht unverschämt viel Lärm für den Präsidenten, in einem aggressiven Tonfall", sagt Nibaruta. "Wenn wir jetzt nicht kämpfen, dann enden wir wie die Medien in Ruanda, die dort an der ganz kurzen Leine gehalten werden."

Bislang sieht es nicht danach aus, dass die Oppositionsparteien in den politischen Prozess zurückkehren und den Pluralismus verteidigen. "Die Wahlen sind für mich vorbei", sagt Alexis Sinduhije und schlägt auf den Tisch. Der Chef der Oppositionspartei MSD (Bewegung für Sicherheit und Demokratie) ist in Burundi ein respektierter Mann. Er war ein Kollege Sindayigayas bei "Studio Ijambo" und Gründer des ebenfalls unabhängigen Senders "Radio Publique Africaine". 2008 kürte ihn das Time Magazine zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Aber dann ging er in die Politik.

Die "teuflischen Monster"

Zu Sinduhijes Anhängern zählen zahlreiche Journalisten und junge gebildete Burundier. Sinduhije hat keine Furcht, seine Frustration hinauszuposaunen: Vergangenes Jahr verbrachte er vier Monate im Gefängnis. Er bezeichnet die Clique um Präsident Nkurunziza als "teuflische Monster".

Jetzt parkt ein Polizeiwagen in Sinduhijes Hofeinfahrt in einem Mittelklasseviertel der Hauptstadt, Leibwächter stehen am Tor. "Es war keine gute Entscheidung, meinen Job als Journalist an den Nagel zu hängen und in die Politik zu gehen", bilanziert Sinduhije auf seiner Veranda. Als Journalist hätte er mehr bewegen können. Nun bleibt ihm höchstens noch die Flucht. Auch gegen ihn hat Rema-FM gehetzt, zwanzig seiner Parteimitglieder wurden ermordet. Alexis Sinduhije fürchtet, dass bald auch auf seiner Veranda eine Granate explodiert.

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