Bürgerkrieg im Kongo weitet sich aus: Die Armee als Unsicherheitsfaktor

Im Kongo wurden Rebellen und Milizen in die Armee eingegliedert. Jetzt entwickelt sich die bunte Truppe zum Risikofaktor: Überfälle und Massaker nehmen neue Ausmaße an.

Alle potenziellen Krieger sind jetzt in der Armee. Bild: reuters

Die Warnungen sind unmissverständlich. "Es gibt eine starke Zunahme von Desertionen mit Waffen und Munition", heißt es in der Nachricht an Hilfswerke im ostkongolesischen Goma. "Gewaltakte gegen humanitäre Helfer" durch Bewaffnete seien nicht auszuschließen. Am heutigen Dienstag soll die UN-Evakuierungsliste auf den Stand gebracht werden: "Die Lage wird als sehr ernst betrachtet."

Die Angst vor einem nahenden Zusammenbruch des Friedensprozesses im Osten der Demokratischen Republik Kongo hat reale Gründe. In der Provinz Nord-Kivu mehren sich Überfälle auf Hilfskonvois und zivile Transporte. Letzte Woche wurde bei Kirolirwe ein Transport des UN-Welternährungsprogramms WFP geplündert, der rückkehrende Vertriebene versorgen sollte. Am Freitag meldete das Hilfswerk Ärzte ohne Grenzen (MSF), Kongos Armee habe am 17. Oktober gezielt das Feuer auf Menschen eröffnet, die sich an sieben Orten des Distrikts Masisi zum Impfen versammelt hatten.

Unsicherheit ist im Ostkongo nichts Neues, aber anders als früher gibt es heute in Nord-Kivu keine klar definierten Kriegsparteien mehr. Noch bis Jahresanfang bekämpfte Tutsi-General Laurent Nkunda mit seiner CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) in Nord-Kivu die Regierungstruppen, gegen ihn bildeten sich ethnische Milizen.

Doch im Januar wurde Nkunda von Soldaten aus Ruanda festgenommen, die CNDP und alle anderen bewaffneten Gruppen schlossen offiziell Frieden und ihre Kämpfer schlossen sich der Regierungsarmee an. Aber dadurch wurde die ohnehin undisziplinierte Armee vollends ein bunter Haufen unkontrollierbarer Männer mit Waffen. Die früheren Kriegsparteien sind alle noch intakt - aber nun stehen sie alle innerhalb der Sicherheitskräfte und können legale Mittel staatlicher Gewalt einsetzen, um Unsicherheit zu schüren und ihre inoffiziellen Parallelstrukturen zu ernähren. Was wie Befriedung aussieht, erweist sich als Rezept für Chaos.

Laut den Menschenrechtlern von Human Rights Watch hat die "Armee" allein in den Gebieten um Nyabiondo und Pinga in Nord-Kivu seit März über 270 Zivilisten umgebracht - Begleiterscheinungen der UN-unterstützten Militärschläge gegen Stützpunkte der im Ostkongo basierten ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratie Kräfte zur Befreiung Ruandas).

Eine UN-Untersuchung warf der Armee letzte Woche überdies Massaker an mindestens 62 Zivilisten im Ort Lukweti vor. Als Ergebnis suspendierte die UN-Mission im Kongo (Monuc) letzte Woche ihre Zusammenarbeit mit der 213. Brigade der kongolesischen Armee. Dies wurde im Kongo trotz aller UN-Dementis als erster Schritt zu einer kompletten Aufkündigung der Zusammenarbeit zwischen UNO und Regierungstruppen im Ostkongo gewertet.

Dass alle potenziellen Krieger jetzt Teil der Armee sind, beschleunigt die Ausbreitung von Instabilität quer durch das Land. In der Provinz Süd-Kivu hat ein "Idi Amin", so wie der frühere ugandische Diktator, mitsamt einer Union der kongolesischen Volksrevolution (UPCR) die Verantwortung für einen Überfall auf das Armeelager Luberizi in der Nacht zum 4. November übernommen, bei dem große Mengen Waffen erbeutet wurden.

Zwei Tage vorher hatten sich Kämpfer des lokalen Milizenführers Yakutumba, der erst im Oktober feierlich seine Truppen in die Armee eingegliedert hatte, vom Friedensprozess wieder losgesagt. Bei Kämpfen um die Distrikthauptstadt Fizi wurde die Handelsstadt Baraka von regulären Soldaten geplündert, und die Rebellen kontrollieren nun eine Halbinsel, von der aus sie sich über Wasser aus dem benachbarten Tansania versorgen könnten, die traditionelle Schmuggelroute kongolesischer Guerillakämpfer. "Bis nach Kinshasa" wolle er den Kampf tragen, verkündete Yakutumba im Rundfunk.

Am anderen Ende des Landes, in der Provinz Equateur, haben sich ebenfalls Unruheherde entzündet. Über 16.000 Menschen flohen aus der Stadt Dongo, nachdem bewaffnete Jugendliche Ende Oktober 47 Polizisten töteten und die Kontrolle über den Ort erlangten.

Erst Ende letzter Woche rückten Sicherheitskräfte wieder ein. Offiziell wurde das als Streit um Fischereirechte dargestellt, aber unter den Aufständischen befanden sich demobilisierte Kämpfer des in Den Haag inhaftierten Oppositionsführers Jean-Pierre Bemba, der aus Equateur stammt. MLC-Exilmilitärs haben bereits eine Volksbewegung zur Verteidigung des Kongo (MPDC) gegründet und blasen zum Krieg.

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