Kongos Armee plündert in Goma: Eine Stadt in Angst

Goma zwischen den Fronten: Plündernde Regierungstruppen hier, drohende Rebellen dort.

Flüchtling in Goma Bild: dpa

Immer wieder hallten Schüsse durch die Nacht, Häuser wurden geplündert, Passanten und Schlafende ausgeraubt oder erschossen. Fliehende Soldaten der kongolesischen Regierungsarmee haben bei ihrem Rückzug aus der östlichen Provinzhauptstadt Goma in der Nacht zum Donnerstag fürchterlich gewütet. "Wir haben uns die ganze Nacht unter den Betten versteckt, und um uns herum war Gewehrfeuer", berichtet ein Bewohner am Telefon. In seinem Nachbarhaus seien sieben Menschen erschossen worden. Lebensmittel, Geld, Mobiltelefone, Matratzen und Autos suchten die Plünderer. Am nächsten Morgen nennt eine UN-Quelle als "sehr konservative Schätzung", es habe in der Stadt "mindestens 30 Tote" gegeben. Es könnte aber auch ein Vielfaches davon sein.

Die Armee des Kongo hat Goma in ein Schlachtfeld verwandelt, aber ihr Gegner war die Zivilbevölkerung. Ihre Plünderungen begang sie auf der Flucht vor den Rebellen der CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) unter Tutsi-General Laurent Nkunda. Die Rebellen rückten aber, anders als zunächst erwartet, nicht in Goma ein. Vielmehr verkündete Nkunda einen einseitigen Waffenstillstand, "um die Bevölkerung von Goma nicht in Panik zu versetzen", wie er sagte. Er wusste: Das tat die Regierungsseite schon selbst.

Einige Stunden lang gingen die wildesten Gerüchte um: Die Provinzregierung und die Armeeführung seien geflohen, die CNDP habe Goma eingenommen, die Rebellen seien im Flugzeug schon in die 2.000 Kilometer entfernte Hauptstadt Kinshasa unterwegs. Nichts davon war wahr. Tatsächlich zogen sich fast alle Regierungssoldaten aus Goma zurück, um im Örtchen Minova in der Nachbarprovinz Süd-Kivu, rund 40 Kilometer von Goma entfernt, ihr Quartier aufzuschlagen. Nord-Kivus Provinzregierung flüchtete sich in das UN-Hauptquartier. Aber Donnerstagmorgen kehrte der Armeechef der Provinz, General Vainqueur Mayala, nach Goma zurück und behauptete, er beherrsche die Lage.

Das war übertrieben. Gestern patrouillierten UN-Blauhelmsoldaten und kongolesische Polizisten durch ein Goma, in dem die Nacht des Schreckens den Bewohnern deutlich in die Glieder gefahren war. Gesprächspartner am Telefon waren schwerer zu erreichen als am Vortag, und in ihren Stimme schwang viel mehr Angst mit.

Dass Nkundas Rebellen sich zurückhielten, lag an massivem Druck vor allem aus den USA. US-Afrika-Staatssekretärin Jendayi Frazer sagte, ein Rebelleneinmarsch nach Goma komme nicht infrage: "Sie sollten nicht nach Goma gehen, denn man wird sie dafür verantwortlich machen, was da passiert." Auch der UN-Sicherheitsrat, der inzwischen jeden Tag Kongo-Sondersitzungen einlegt, forderte mit scharfen Worten ein "Ende der Operationen" der Rebellen.

"Wir werden Goma nicht einnehmen. Wir haben einen Waffenstillstand ausgerufen", erklärt Rebellensprecher René Abandi die neue Linie. Es lägen ja schon genug Leichen in den Straßen der Stadt, fügt er hinzu. Die CNDP hat in einem Schreiben an die UNO die Öffnung "humanitärer Korridore" angekündigt, um die hunderttausenden Kriegsflüchtlinge zu versorgen. In einer weiteren Erklärung heißt es: "Wenn unsere Gegner vorrücken, ihre Frontlinien mit Männern und Materialien verstärken oder andere feindliche Akte begehen, wird die CNDP entsprechend reagieren, und der Waffenstillstand ist sofort hinfällig."

In einem Interview präzisiert CNDP-Chef Nkunda, als Kongolese könne er überall im Kongo hin, auch nach Goma: "Sie (die UNO) hat kein Recht, uns zu stoppen. Wenn sie nicht Goma sichern kann, komme ich und mache es."

In der Distrikthauptstadt Rutshuru, 80 Kilometer nördlich von Goma, die die CNDP seit Dienstag kontrolliert, wollen die Rebellen ihr neues ziviles Gesicht zeigen. Nkundas Truppen, noch vor wenigen Jahren als Kriegsverbrecher verrufen, sehen sich heute im Ostkongo als Ordnungsmacht, die mit eiserner Disziplin in den eigenen Reihen Sicherheit wahren. In Rutshuru haben sie eine neue Distriktverwaltung eingesetzt und alle Vertriebenen aufgefordert, ihre Lager zu verlassen und nach Hause zu gehen. Augenzeugen zufolge ist die Situation seit dem Rebelleneinmarsch ruhig.

In Goma hingegen herrscht ein Machtvakuum. Ein UN-Mitarbeiter meint: "Wir haben hier jetzt eine Armee ohne Befehlsstruktur. Wir wissen nicht, wo die Soldaten sind, und die Bevölkerung weiß nicht, wer das Sagen hat." Da genügen erneute Übergriffe einzelner Soldaten, damit die CNDP-Rebellen ihre Feuerpause beenden. Mit nur 800 Blauhelmsoldaten in Goma hätte die Monuc dem wohl nur wenig entgegenzusetzen.

Weil die Zeit drängt, werden schon am heutigen Freitag die höchstrangigen Kongo-Diplomaten von UNO und USA in Goma erwartet. Innenpolitisch bewegen sich Regierung und Rebellen aufeinander zu. Kongos Parlament forderte gestern die Regierung einstimmig zu einem Ende der Militäroperationen und Gesprächen mit Nkunda auf. "Da das Land noch nicht über eine starke Armee verfügt, die mit der Lage umgehen kann, muss man den Weg des Dialogs beschreiten", heißt es in dem Beschluss.

Das entspricht dem Konsens der meisten Politiker des Kriegsgebiets, die jetzt nur noch eines wollen: ein Ende der Gewalt. "Der Schlüssel liegt in Kinshasa", sagt Nord-Kivus Parlamentspräsident Léon Bariyanga. "Für uns sind alle Mittel recht, die Menschenleben retten." Neuen Eingreiftruppen kann Bariyanga aber nichts abgewinnen. "Wen soll die UNO denn schützen?", höhnt der Parlamentspräsident. "Als die Leute alle vertrieben wurden, wo war da die UNO?"

Am Donnerstagnachmittag ergreift erneut Panik die Stadt: Die Regierungssoldaten kommen zurück. "Sie kommen auf Motorrädern, und vollgeladene Armeelastwagen sind unterwegs nach Goma", erzählt ein Augenzeuge. Eine neue unruhige Nacht steht bevor.

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