Kriegsverbrecherprozesse in Sierra Leone: Historisches Tribunal verfehlt sein Ziel

In Sierra Leone ist der letzte Kriegsverbrecherprozess vor dem UN-Sondertribunal zu Ende gegangen. Aber die wichtigsten Täter standen nicht vor Gericht.

Ein Zuschauer im Gerichtssaal, der im Krieg beide Unterarme verloren hatte. Bild: dpa

FREETOWN taz Die Arbeit des UN-Sondergerichtshofs für Sierra Leone geht allmählich zu Ende: Anfang April fielen die Urteile gegen drei Anführer der einstigen Rebellenbewegung RUF (Revolutionary United Front). Issa Sesay, ihr letzter Anführer, erhielt 52 Jahre Haft, Morris Kallon, ein hoher Militärführer, 29 Jahre, und Augustine Gbao, einst Chef des Sicherheitsdienstes, 25 Jahre.

Der Gerichtshof soll diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die "die größte Verantwortung" für während des Bürgerkrieges in Sierra Leone in den 90er-Jahren begangene Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit tragen. Zwei Verfahren, gegen Anführer der RUF-unterstützten Militärjunta AFRC und gegen die RUF-feindliche Miliz CDF (Civil Defence Forces) endeten Anfang 2008 mit hohen Haftstrafen. Das RUF-Verfahren, bei dem noch Berufung aussteht, ist das letzte in Sierra Leones Hauptstadt Freetown.

Chefankläger Stephen Rapp aus den USA und die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch feiern die RUF-Urteile als Meilenstein: Als erstes internationales Gericht wertet der Sondergerichtshof für Sierra Leone Zwangsheiraten von Mädchen und Frauen mit Kämpfern sowie Angriffe gegen Blauhelmsoldaten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese Erfolgsmeldungen haben jedoch in Sierra Leone keine Begeisterung ausgelöst. Im Gegenteil, die meisten Menschen sind enttäuscht. Für sie sind die Verurteilten nicht diejenigen, die die "größte Verantwortung" für Kriegsverbrechen tragen.

Issa Sesay übernahm erst im Frühjahr 2000 die Führung der RUF, nachdem der charismatische RUF-Chef Foday Sankoh verhaftet wurde. Sesay wird eher als Friedensstifter gesehen, der jetzt zu Unrecht für Verbrechen von anderen verurteilt worden ist. In der Tat war er es, der Ende 2000 seine Mitstreiter überzeugte, die Waffen zu strecken und damit den Krieg zu beenden. Damals wurde ihm und der RUF Immunität vor Strafverfolgung zugesichert. Sein Pech war wohl, dass er nach dem Ableben der beiden wichtigsten RUF-Anführer der ranghöchste lebende Kommandeur der Rebellen war: Der politische Chef Foday Sankoh starb 2003 in der Haft; Militärführer Sam Bockarie, bekannt als "Moskito", wurde im gleichen Jahr in Liberia ermordet. In der Stadt Makeni im Norden Sierra Leones, wo die RUF vor dem Friedensschluss ihr Hauptquartier hatte, beschreiben die Bewohner Sesay als jemanden, der die Zivilbevölkerung schützte und mitunter drakonische Strafen gegen Kämpfer verhängte, die plünderten oder vergewaltigten.

1961: Sierra Leone unabhängig. Machtkampf zwischen den Parteien SLPP und APC, welche 1978 einen Einparteienstaat gründet. 1991: Beginn der RUF-Rebellion. 1992: Militärputsch unter Valentine Strasser, der Söldner anheuert. 1996: SLPP unter Ahmad Tejan Kabbah gewinnt freie Wahlen. 1997: Militärputsch unter Johnny Paul Koroma, dessen Junta AFRC gemeinsam mit der RUF regiert. 1998: „Friedenstruppen“ aus Nigeria setzen Kabbah wieder ein. RUF kämpft mit Unterstützung Liberias gegen Kabbah und Nigeria. 2000: Britische Militärintervention zerschlägt RUF. 2004: UN-Tribunal beginnt. 2007: APC unter Ernest Bai Koroma gewinnt freie Wahlen.

Die Urteile gegen die AFRC-Junta wurden in Freetown eher begrüßt. Die AFRC war eine Gruppe von Soldaten, die im Mai 1997 mit RUF-Unterstützung gegen die gewählte Regierung putschte. Im Februar 1998 wurde sie von nigerianischen Truppen der westafrikanischen Friedenstruppe Ecomog vertrieben. Im Januar 1999 führte sie einen erneuten Angriff auf Freetown durch, bei dem es zu massiven Plünderungen, Amputationen, Vergewaltigungen und Massakern kam. Die drei AFRC-Anführer wurden hauptsächlich wegen dieser Verbrechen, von denen sie viele eigenhändig begingen, verurteilt. Allerdings ist der Chef der AFRC, Major Johnny Paul Koroma, den Fahndern bis heute nicht ins Netz gegangen. Gerüchte, dass er in Liberia gestorben ist, konnten nicht bestätigt werden.

Bei den CDF-Urteilen gehen die Meinungen auseinander. Viele Leute im Norden Sierra Leones begrüßten die Urteile, weil sich CDF-Kämpfer vieler Übergriffe schuldig machten. Im Südosten, aus dessen Mende-Volk sich die CDF vor allem rekrutierte, gelten die CDF-Milizen hingegen als Verteidiger einer gewählten Regierung. CDF-Chef Sam Hinga Norman, ein traditioneller Führer der Mende, der 2007 in der Haft starb, wird dort als mythische Heldenfigur verehrt.

Foday Sankoh, Johnny Paul Koroma, Sam Hinga Norman - keiner der drei wichtigsten Kriegsführer Sierra Leones ist vor dem Sondertribunal aufgetreten. Bleibt Liberias Expräsidenten Charles Taylor, der die RUF unterstützte. Sein Prozess findet aus Sicherheitsgründen in Den Haag statt, mit einem Urteil wird 2010 gerechnet. Danach soll das Gericht abgewickelt werden.

Noch ist unklar, in welchem Land die Verurteilten ihre Strafen absitzen müssen. Österreich und Schweden haben zugesagt, jeweils einen Gefangenen aufzunehmen, Senegal, Mali, Benin und Ruanda jeweils mehrere. In Sierra Leone selbst gibt es keine Haftanstalten, die internationalen Standards entsprechen. Zudem hat die Regierung den Gerichtshof gebeten, die Verurteilten außer Landes zu schaffen, da sie sonst innenpolitischen Druck fürchtet.

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