Krieg im Kongo: Kein Schutz für Zivilisten

Human Rights Watch wirft allen Kriegsparteien im Osten Kongos schwere Übergriffe auf die Zivilbevölkerung vor - schon vor den jüngsten Kämpfen.

Alltagsszene in Nord-Kivu: die Bewohner des umkämpften Dorfes Rugari auf der Flucht, beobachtet von der UNO, am Sonntag. Bild: reuters

"Als die ersten Schüsse fielen, flohen die Menschen in alle Richtungen", erinnert sich die Mutter von vier Kindern. "Meine Mutter war zu alt zum Fliehen, also versteckte sie sich im Haus mit acht Verwandten und vier Nachbarn. Ich versteckte mich hinter dem Haus im hohen Gras." Am nächsten Morgen klopften die Soldaten an die Tür, weil sie ein Baby gehört hatten, und töteten acht Menschen. Die Frau rannte weg. "Drei Tage später kam ich zurück. Die Leichen steckten in einer Latrine, ich sah die Füße meiner Mutter herausragen."

So schildert eine anonyme Augenzeugin aus dem Dorf Buramba in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu den Durchzug eines Bataillons von Soldaten des Rebellenführers Laurent Nkunda am 10. März 2007, als sie noch gemeinsam mit Regierungssoldaten zur "Brigade Bravo" der Regierungsarmee gehörten. Der Angriff der Tutsi-Soldaten Nkundas auf die Hutu-Bevölkerung Burambas war die Rache für einen Überfall ruandischer Hutu-Milizionäre am Vortag. Die Soldaten hielten die Dorfbewohner für Kollaborateure der Milizen. Es ist der schwerste Einzelvorfall einer ganzen Reihe von Massakern und Übergriffen, die die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einem gestern veröffentlichten neuen Bericht dokumentiert.

Der Bericht beschreibt, wie schon lange vor dem Ausbruch des neuen Krieges zwischen Regierungstruppen und Nkunda-Rebellen in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu Gewalt gegen die Bevölkerung zum Alltag gehörte. Die Flüchtlingslager um die Stadt Rutshuru waren schon damals voll mit verängstigten Zivilisten, meist kongolesische Hutu, die dem Krieg zwischen den Tutsi-Kämpfern Nkundas und der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Verteidigung Ruandas) entkommen wollten. Nkunda, der seit 2004 eine eigene Rebellenbewegung im Ostkongo vor allem zum Schutz der Tutsi leitet, hatte sich Anfang 2007 mit der Regierungsarmee zusammengetan, um die FDLR zu zerschlagen. Letztere wird von einstigen Verantwortlichen des Völkermords an Ruandas Tutsi 1994 kommandiert und kontrolliert weite Teile Ostkongos. Aber der Krieg gegen die FDLR wurde ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung, die kurzlebige Allianz zwischen Kongos Armee und Nkunda-Rebellen zerbrach und zwischen diesen beiden Parteien brach ein eigener neuer Krieg aus, noch brutaler als der vorherige. Dieser Krieg hat seit Anfang September über 170.000 Menschen in die Flucht getrieben - zusätzlich zu einer ähnlichen Zahl, die seit Jahresanfang 2007 bereits geflohen waren. Insgesamt zählt die Provinz Nord-Kivu heute bei rund fünf Millionen Einwohnern über 700.000 Kriegsvertriebene.

HRW wirft Kongos Regierung vor, nichts getan zu haben, um Übergriffe auf Nord-Kivus Bevölkerung zu verhindern. "Menschenrechtsverletzer wurden nicht entwaffnet, sondern haben im Gegenzug ihre Autorität konsolidiert", so der Bericht.

Am detailliertesten zeichnet HRW Verbrechen der Rebellen des Tutsi-Generals Nkunda während ihres Dienstes innerhalb der Regierungsarmee zwischen Januar und August 2007 nach. Das liegt zum Teil daran, dass die Soldaten der "gemischten Brigaden" aus Regierungstruppen und Rebellen damals farbige Armbänder tragen mussten, womit sie leicht identifizierbar waren - ansonsten ist es kaum möglich, die bewaffneten Gruppen auseinanderzuhalten. Es liegt aber auch daran, dass Rebellenchef Nkunda am bereitwilligsten mit den Ermittlern der Menschenrechtsorganisation redete. Die ruandische Hutu-Miliz FDLR hingegen verweigerte vor Ort jeden Kontakt. Was in ihrem immer größeren Territorium geschieht, bleibt undokumentiert. Kongos Regierungstruppen werden von HRW für 40 Prozent aller Menschenrechtsverletzungen in der Provinz verantwortlich gemacht, aber über sie steht im Bericht am wenigsten.

Deutlich wird dennoch, dass der neue Krieg für die Menschen keine neue Erfahrung darstellt. "Im vergangenen Jahrzehnt gab es so viele Militäroperationen, dass manche sagen, sie leben in einer Zeit des Dauerkrieges".

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