40 Jahre Gaddafi: König des grünen Dampfs

Gaddafi feiert den 40. Jahrestag seiner Machtergreifung - und die ganze Welt feiert mit. Kein Politiker hat im vergangenen Jahrzehnt eine fulminantere Karriere gemacht.

Muammar al-Gaddafi: "Der König von Afrika". Bild: dpa

Es soll das größte Massenspektakel aller Zeiten werden, herrlicher noch als die Olympiaeröffnung in Peking vor einem Jahr. 3.500 Tänzer, gigantische Feuerwerke aus dem Mittelmeer, Laserprojektionen, eine Oper in vier Akten über 12.000 Jahre libysche Geschichte mit besonderer Betonung der vergangenen vierzig, Blaskapellen aus 18 Ländern und vieles anderes mehr verspricht Libyen der Welt am 1. September. Gefeiert wird der 40. Jahrestag der "Al-Fatah-Revolution", des Militärputsches vom 1. September 1969, der Muammar al-Gaddafi an die Macht brachte. 750.000 Zuschauer sollen den Feierlichkeiten im Grünen Park der Hauptstadt Tripoli beiwohnen.

"Oh mein Gott, das kann nicht wahr sein", zitiert die englischsprachige Wochenzeitung The Tripoli Post eine "aufgeregte Organisatorin" des Festes. Ein Tänzer soll gesagt haben: "Es ist wundervoll. Niemand von uns hat so etwas erwartet und sicherlich hat keiner von uns je in einer so großen Show mitgewirkt." Und das ist nur der Anfang. Das Fest dauert die ganze Woche und erfasst das ganze Land. Es gibt eine Parade von 1.000 Dromedaren unter 40 Heißluftballons in der Wüstenstadt Ghadames. In den römischen Ruinen von Leptis Magna ertönt arabische Musik.

Das sei "das große Coming-out" für Libyen, sagt Philippe Skaff, Cheforganisator der Feierlichkeiten. Der in Libanon geborene 52-jährige Kanadier, Chef der PR-Firma Grey Worldwide für den Nahen Osten und zugleich Präsident der neugegründeten libanesischen Grünen Partei, nannte das Fest in einem Interview die "Startrampe" für Libyens weltpolitische Ambitionen. "Die Libyer haben sich geöffnet, aber die Welt hat noch nicht so reagiert, wie sie es erwarteten. Sie sind enttäuscht."

7. 6. 1942: Muammar Abu Minyar al-Gaddafi geboren.

1. 9. 1969: Eine Gruppe junger Offiziere unter Gaddafis Führung stürzt die libysche Monarchie.

1977-79: Gaddafi erklärt Libyen zur "Volksrepublik", regiert von den Massen, und gibt alle Ämter ab. Er ist nun nur noch "Führer der Großen Revolution des Ersten September der Sozialistischen Libyschen Arabischen Volksrepublik".

1979-1994: Libyen unterstützt Rebellen in afrikanischen Ländern sowie die IRA und palästinensische Gruppen.

1984: Britische Polizistin in London aus der libyschen Botschaft heraus erschossen.

1986: US-Luftangriffe auf Libyen nach dem La-Belle-Anschlag in West-Berlin.

1989: US-Flugzeug über Lockierbie (Schottland) in die Luft gesprengt, 270 Tote.

2003: Libyen beendet sein Atomwaffenprogramm und übernimmt die Verantwortung für den Lockerbie-Anschlag.

2004-08: Libyen ist international rehabilitiert, Gaddafi wird an die Spitze der Afrikanischen Union gewählt.

Wenn dieses Fest ein Ausdruck von Enttäuschung ist, sollte man sich vor libyscher Zufriedenheit rechtzeitig in Sicherheit bringen. Kein politischer Führer hat im letzten Jahrzehnt eine fulminantere Karriere gemacht als Gaddafi. Der international Geächtete, der einst die "Grüne Revolution" ausrief, den Staat für abgeschafft erklärte, Terrorgruppen weltweit unterstützte, Massenvernichtungswaffen entwickelte und die arabische Welt schlucken wollte, ist heute der begehrteste Geschäftspartner am Mittelmeer und in Afrika, ohne an seiner politischen Kultur irgendetwas geändert zu haben.

Sein spektakulärer Verzicht auf Atomwaffen ersparte Gaddafi 2003 das Schicksal Saddam Husseins. Er wurde stattdessen zum großen weltpolitischen Gewinner des 11. September, vom Schurken zum privilegierten Partner. Statt der arabischen Welt will er nun Afrika einen und hat sich selbst zum "König der Könige" des Kontinents sowie zum Präsidenten der Afrikanischen Union wählen lassen - eine Funktion, in der er Putschisten Rückendeckung gibt. Über eine Reihe von Abkommen mit Berlusconi hat er Libyen zum Wächter über die Migrationsrouten Richtung Europa gemacht und kann diese nun nach Belieben an- und abstellen, je nach Gegenleistung. Weil Libyen die größten Ölreserven Afrikas hält, stehen Investoren Schlange und Politiker würden sich in Libyen die Klinke in die Hand geben, wenn Gaddafis Wüstenzelt eine hätte. Dennoch bleibt Libyen ein Land, wo Kritik am Regime verboten ist, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten und afrikanische Migranten wie Dreck behandelt werden.

Was funktioniert, ist die Politik der Erpressung. Wenn bulgarische Krankenschwestern unter erfundenen Vorwürfen, sie hätten libysche Kinder mit Aids infiziert, jahrelang eingekerkert werden, gibt es nicht etwa Gegenmaßnahmen, sondern Frankreichs Präsident Sarkozy holt die Geiseln heraus und verkauft Gaddafi im Gegenzug Atomkraftwerke und Waffen. Wenn Schweizer Bürger als Geiseln gehalten werden, weil die Schweizer Polizei einer Klage malträtierter Dienstmädchen eines Gaddafi-Sohns nachgeht, wird nicht etwa das Verfahren zügig vorangetrieben, sondern die Schweiz kriecht zu Kreuze und entschuldigt sich für die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Wenn Libyen durchblicken lässt, neue Ölverträge mit British Petroleum könnten durch die Entlassung des verurteilten Urhebers des Lockerbie-Terroranschlags aus britischer Haft beschleunigt wären, erinnert London nicht etwa an die Unabhängigkeit der Justiz, sondern leitet die Entlassung des Häftlings so hintenrum ein, dass die schottischen und britischen Regierungen in die Krise stolpern.

Ethische Außenpolitik? Fehlanzeige. Man dürfte sich nicht wundern, sollte der Libyer sein Staatsgebiet den Solar-Enthusiasten von Greenpeace und dem deutschen Konsortium Desertec anbieten, die die Sahara-Wüste als Energielieferant der Zukunft entdeckt haben. Spätestens dann werden progressive Deutsche Gaddafi wieder als Lichtgestalt huldigen, die Wende von der grünen Revolution zum grünen Kapitalismus wäre perfekt.

Die Welt, von der Libyen das Zentrum ist, kennt keine Parteien mehr, sondern nur noch Geschäfte. So kommt es, dass bei den Revolutionsfeiern italienische und französische Kampffliegerstaffeln grünen Dampf ausscheiden werden; die französische Firma Group F organisiert die Feuerwerke; die britische Atlantic Enterprises baut die 3.000 Quadratmeter große Bühne, "die größte der Welt". Alles zur Ehre eines Diktators, den man so nicht nennen darf - erst vor wenigen Wochen wurden drei Zeitungen in Marokko dafür zu hohen Geldstrafen verurteilt.

Die Politik des Kotaus bringt es allerdings mit sich, dass man zu ihr nicht stehen kann. Während viele afrikanische Staatschefs gar keine Ehre haben, die sie an Libyen verkaufen könnten, und daher erhobenen Hauptes zu Gaddafis Feiern antreten, fällt ihren Amtskollegen aus Europa das deutlich schwerer. Sowohl Nicolas Sarkozy als auch Wladimir Putin haben ihre Teilnahme abgesagt. Auf der aktuellen Gästeliste steht an erster Stelle Venezuelas Hugo Chávez, gefolgt von den Staatschefs von Malta und den Philippinen. Robert Mugabe aus Simbabwe ist schon da, Sudans Omar al-Bashir wird trotz des internationalen Haftbefehls wohl auch erscheinen.

Der listige, leider vermutlich unfreiwillige Humor, den Großbritannien trotzdem nach Libyen bringt, dürfte diesen Würdenträgern verborgen bleiben. Eine Blaskapelle aus Wales spielt die traditionelle Melodie Sospan Fach ("Kleiner Blechtopf") aus der Bergarbeiterstadt Llanelli, ein altes Soldatenlied, das heutzutage vorwiegend in Rugby-Stadien zu hören ist. Der Nonsenssong mit dem Refrain "Der junge Soldat Dai" handelt von einem Töpfchen, das überkocht, weil der Koch gestorben ist und die Katze das Baby gekratzt hat. Man muss dazu wissen, dass Libyen im britischen Volksgedächtnis für besonders alberne Soldatenerinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg steht. Ein Schelm sei, wer beim Blechtopf an den englischen Begriff für Operettenherrscher denkt: Tinpot Dictator.

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