EU-Mission vor Somalia: Marine auf Kaperfahrt

Ein robustes Mandat bedeutet, dass Gewalt gegen Piraten vor Somalia vorgesehen ist. Aber so schießwütig ist die Marine gar nicht.

Auf der Jagd: Bundeswehrsoldat hält Ausschau nach Piraten. Bild: ap

Die beiden Motorboote, die sich dem deutschen Kreuzfahrer "MS Astor" vor einigen Tagen im Golf von Aden so verdächtig schnell näherten, vertrieb die deutsche Fregatte "Mecklenburg-Vorpommern" mit ein paar Warnschüssen. Das waren die ersten, die die Deutsche Marine seit Republikgründung abgegeben hat, heißt es.

Grundlage des neuen deutschen Marineeinsatzes am Horn von Afrika ist die EU-Mission "Eunavfor Atalanta", die am 10. November im Grundsatz und am 8. Dezember endgültig beschlossen wurde; der 8. Dezember war der offizielle Einsatzbeginn. "Eunavfor Atalanta" soll aus bis zu sechs Schiffen und drei Flugzeugen bestehen, mit insgesamt rund 1.200 Soldaten. Ziel der Operation sind der Schutz von Schiffen des UN-Welternährungsprogramms WFP und die "Abschreckung, Prävention und Unterdrückung" von Seeräuberei. Zunächst benutzt die EU-Mission die bereits im Einsatz befindlichen Mittel der Nato, zu denen ein deutsches Schiff gehört. Weitere Überwachung der somalischen Küstengewässer leistet seit sieben Jahren die internationale Antiterroroperation "Enduring Freedom", an der Deutschland mit einem Schiff beteiligt ist. Zusätzlich haben Russland und Indien Kriegsschiffe in der Region. Die Piraten haben 2008 bisher etwa 120 Schiffe überfallen. Derzeit halten sie rund 15 Schiffe mit Besatzungen, darunter ein ukrainisches Rüstungsschiff und einen saudischen Öltanker, in ihrer Gewalt. D.J.

Doch wird die Marine bald vermutlich sogar scharf schießen müssen. Sie soll nun die Piraterie im Meer vor Somalia bekämpfen. Das Mandat für den EU-Piratenjagdeinsatz "Atalanta", das die Bundesregierung am Mittwoch verabschiedet hat, umfasst ausdrücklich auch die "gewaltsame Beendigung von Akten der Piraterie".

"Aufgreifen, Festhalten und Überstellen" von mutmaßlichen Seeräubern sowie die Beschlagnahme ihrer Schiffe und Beute gehören nach dem Willen von EU und Bundeskabinett künftig zur Jobbeschreibung der Marine. Die Idee ist, Piraten vor deutsche Gerichte zu stellen, wenn sie sich an deutschen Rechtsgütern vergriffen haben, ansonsten aber ein halbwegs rechtsstaatliches Land vor Ort wie Kenia zu bitten, sich um die Prozesse zu kümmern.

So soll die monatelange völker- und verfassungsrechtliche Unsicherheit darüber aufgehoben werden, wer eigentlich am Horn von Afrika dafür zuständig ist, Piraten an ihrem Geschäft zu hindern. Gemeinsam mit den anderen Kriegsschiffen (vgl. Kasten) soll die Atalanta-Mission nun einen überschaubaren Korridor im großen Golf bewachen. In Konvois sollen an dessen Nordkante die Schiffe nach Westen fahren, an der Südkante die, die nach Osten wollen.

Die Bundesregierung legt Wert darauf, dass der Schutz durch EU und Deutsche Marine primär den Nahrungsmittellieferungen für das zerfallene Somalia dient, wo ein Drittel der Bevölkerung humanitärer Hilfe bedarf. Doch habe "Deutschland als Exportnation" auch "an sicheren Handelswegen ein besonders großes Interesse", heißt es in der Mandatsbegründung.

Die Obergrenze des zunächst für ein Jahr laufenden Atalanta-Mandats beträgt 1.400 Soldaten. Das klingt viel - liegt doch etwa die Grenze des Afghanistanmandats schon bei 4.500. Doch beinhalten die 1.400 einen gehörigen "Puffer", falls es zu Personalverdopplung beim Kontingentwechsel auf den bis zu drei deutschen Fregatten kommt.

So deutlich der geplante Einsatz von Gewalt im Mandat nachzulesen ist, so klar etwa SPD-Fraktionschef Peter Struck von "Kampfeinsatz" spricht, so unkämpferisch zurückhaltend ist man jedoch erst einmal bei der Bundeswehr. Auf keinen Fall, heißt es dort, werde man wie jüngst die indische Marine ein vermeintliches Piratenschiff beschießen, das sich später als gekapertes Fischerboot herausstellt, auf dem auch unschuldige Fischer festsaßen.

"Das liest sich jetzt alles so gut in dem Mandat", sagt auch der Sprecher des Bundeswehrverbands Wilfried Stolze. Aber man interessiere sich schon dafür, wie in Operationsplan und Einsatzregeln festgelegt werde, wann genau zu schießen sei - und wann nicht. Überhaupt sei die Bundeswehr für bereits gekaperte Schiffe nicht zuständig, sondern die Polizei, sagt ein Offizier. "Eine Geiselnahme ist eine besonders heikle Situation, dafür ist die GSG9 ausgebildet, und nicht unser Boarding Team."

"Selbstverständlich kann die Marine das auch", widerspricht der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. In solch einem Krisenfall müssten natürlich aber alle Optionen erwogen werden. Arnold ist getrost, dass die Verurteilung der festgenommenen Piraten zeit- und vor allem ortsnah auch klappt: "Wir wollen keine Bilder davon, wie die Deutsche Marine Piraten mit Blut an den Händen an der Küste wieder freilässt."

Aus den Reihen der großen Koalition dürften keine Einwendungen mehr kommen, wenn Atalanta am 19. Dezember vom Bundestag verabschiedet werden soll. Und auch der Opposition fallen kaum grundsätzlichen Vorbehalte gegen die Piratenjagd ein.

Die Linksfraktion wird mit Nein stimmen, weil Deutschland nichts dafür unternehme, dass ein somalischer Rechtsstaat auf die Füße kommt. Atalanta "ist ein Ersatz für Handlungen, die man nicht macht. Das erbost mich schon", sagt der Linken-Verteidigungsexperte Paul Schäfer. Die Grünen steuern mit ähnlichem Vorbehalt auf ein Ja zu Atalanta zu. Die FDP will nur zustimmen, wenn bald aus Operationsplan und Einsatzregeln hervorgeht, "dass aktive Piratenbekämpfung tatsächlich stattfindet und nicht bloß Begleitschutz", sagt FDP-Verteidiger Rainer Stinner.

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