Premier friert Parlament ein: Eiszeit in Kanada

Mit einem geschickten Schachzug kommt der bedrängte konservative Regierungschef Harper seinem Sturz per Misstrauensvotum zuvor.

1:0 für Ministerpräsident Stephen Harper gegen die Opposition. Bild: reuters

BERLIN taz In Kanada geht es ungewohnt chaotisch zu. Ministerpräsident Stephen Harper, der seit zweieinhalb Jahren mit einer konservativen Minderheit im Parlament regiert, hat gerade noch einmal die Kurve gekriegt, um nicht gestürzt zu werden. Eine Koalition der Opposition hatte geplant, Harpers Regierung am kommenden Montag mit einem Misstrauensvotum abzusetzen und selber das Ruder zu übernehmen. Am Donnerstag ersuchte Harper daraufhin bei Michaelle Jean, der Generalgouverneurin und offiziellen Vertreterin der britischen Königin in Kanada, alle Parlamentssitzungen bis Ende Januar auszusetzen. Sie gab dem Antrag statt. So ist das Misstrauensvotum bis dahin auf Eis gelegt.

Damit ist ein Präzedenzfall geschaffen. Zwar ist ein Gesuch eines kanadischen Ministerpräsidenten, das Parlament auszusetzen, bisher noch nie abgelehnt worden, aber es gab auch noch nie den Fall, dass damit ein Misstrauensvotum verhindert wurde. Das Vertrauen der kanadischen Bevölkerung in das Parlament und die Parteien wird mit diesen Vorgängen einer schweren Prüfung unterzogen.

Das hat auch Harper erkannt. Nach seinem Gesuch bei Jean sagte der Premierminister der kanadischen Zeitung Globe and Mail: "Die Öffentlichkeit ist sehr frustriert über die Situation im Parlament und wir sind alle dafür verantwortlich." Beide Seiten hätten ein gutes Stück Vertrauensarbeit zu leisten. Für seine Regierung sei es nun an der Zeit, ein Konjunkturpaket auszuarbeiten.

Die Opposition hatte Harper vorgeworfen, keine Antwort auf die Finanzkrise zu haben. Auslöser hierfür war eine vor zwei Wochen von Harpers Finanzminister vorgelegte Ergänzung zum Haushalt, die nach Ansicht der Opposition keine Vorschläge zur Ankurbelung der Konjunktur macht. Auf scharfe Kritik von der Opposition ist auch der in dem Plan enthaltene Vorschlag gestoßen, die Parteien in Kanada nicht mehr mit öffentlichen Geldern zu unterstützen. Mit der Aussetzung des Parlaments bis Ende Januar bekommen die Konservativen die Chance, bis dahin ein neues Konjunkturprogramm vorzulegen.

Vergangene Woche hatten die Liberalen und die Neuen Demokraten, die beiden wichtigsten Oppositionsparteien im anglofonen Teil Kanadas, ein Abkommen geschlossen, um Harper gemeinsam zu stürzen. Damit eröffnete sich die für Kanada sehr seltene Option einer Koalitionsregierung.

Für Unmut hatte in diesem Zusammenhang gesorgt, dass der Bloc Québécois, der sich für die Unabhängigkeit der französischsprachigen Provinz Québec einsetzt, dem Oppositionsbündnis bis Ende Juni 2010 seine Unterstützung zugesagt hatte. In einer Reaktion auf den Vorstoß der Opposition kritisierte Harper die Zusammenarbeit der Koalition mit den "Separatisten" in Québec, ein in Kanada empfindliches Thema.

Die innenpolitische Situation Kanadas ist daher nun im Vergleich zu den 13 Jahren ungebrochener Regierung der Liberalen bis 2006 ungewohnt instabil. Im Jahr 2006 waren die Liberalen nach einem Korruptionsskandal, bei dem Steuergelder für den Wahlkampf veruntreut worden waren, durch ein Misstrauensvotum abgesetzt und von Harpers konservativer Minderheitsregierung abgelöst worden. Im September dieses Jahres hatte Harper Neuwahlen ausgerufen und auf eine stabile Regierungsmehrheit gehofft. Seine Partei konnte ihren Vorsprung zwar ausbauen, verfehlte aber erneut eine absolute Mehrheit.

Innerhalb der Liberalen ist es aber ebenfalls nicht besonders friedlich. Parteivorsitzender Stéphane Dion war nach den Neuwahlen, in denen die Liberalen herbe Verluste einstecken mussten, zurückgetreten. Wäre die Koalition durch das Misstrauensvotum an die Macht gekommen, wäre er Ministerpräsident geworden, aber nur bis Mai. Jetzt scheint die Krise erst einmal beruhigt - bis Ende Januar, wenn das Parlament wieder seine Arbeit tun darf.

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