Zum Tod von Raúl Alfonsín: Symbol der neuen Demokratie

Raúl Alfonsín war Argentiniens erster Präsident nach dem Ende der Militärdiktatur. Bis heute steht der bürgerliche Politiker für die Rückkehr der Demokratie - aber auch für deren Schwächen.

Die letzte Ehre für den argentinischen Ex-Präsidenten Raúl Alfonsín. Bild: dpa

BUENOS AIRES taz Der frühere argentinische Präsident Raúl Alfonsín ist tot. Der 82-jährige Politiker erlag am Dienstagabend in seinem Haus in Buenos Aires einem Lungenkrebsleiden. Alfonsín ist in Argentinien das Symbol für die Rückkehr zur Demokratie 1983. Nach Bekanntwerden seines Todes versammelten sich hunderte von Trauernden vor seinem Haus und entzündeten Kerzen. Präsidentin Cristina Kirchner ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

Der Politiker der linksliberalen Radikalen Bürgerunion UCR hatte die ersten freien Wahlen nach dem Ende der Militärdiktatur (1976-1983) am 30. Oktober 1983 gewonnen. Argentinien wollte mit der blutigen Vergangenheit brechen, es herrschte Aufbruchstimmung. Dem Rechtsanwalt, der sich schon länger in Sachen Menschenrechte engagierte, traute die Bevölkerung eine Aufarbeitung der blutigen Jahre der Diktatur eher zu als seinem damaligen peronistischen Konkurrenten Ítalo Lúder.

Am 10. Dezember 1983 trat er das Präsidentenamt an. Als eine seiner ersten wichtigsten Amtshandlungen gilt die Aufhebung der noch von den Militärs angeordneten Amnestie. Damit machte Alfonsín tatsächlich den Weg für die Prozesse wegen der Menschenrechtsverbrechen während der Militärdiktatur frei. Zudem setzte er eine Kommission zur Untersuchung des Verschwindens von Menschen während der Diktatur ein. In deren Abschlussbericht "Nunca Más" ("Nie wieder") von 1984 wurde das Verschwinden von über 10.000 Menschen dokumentiert. 1985 wurden die führenden Mitglieder der Militärjunta zu langen Haftstrafen verurteilt.

Der Versuch, die Mörder und Folterer der Diktatur zur Verantwortung zu ziehen, scheiterte trotzdem. Dreimal hatten Teile der Militärs während Alfonsíns Amtszeit einen Aufstand gegen seine Regierung angezettelt - im Dezember 1986 gab Alfonsín dem Druck nach und schloss mit dem Schlusspunktgesetz neue Verfahren aus. Dennoch rebellierten in der Karwoche 1987 erneut Teile der Militärs und forderten ein Ende der noch laufenden Prozesse. Die Angst vor einem neuen Putsch ging um.

"Geht nach Hause und küsst eure Kinder. Frohe Ostern!" Mit diesen Worten verkündete Alfonsín vom Balkon des Regierungsgebäudes vor einer riesigen und jubelnden Menschenmenge das Ende der Rebellion. Dass sich die Militärs insgeheim durchgesetzt hatten, bewies das im Mai 1987 erlassene Gesetz des geschuldeten Befehlsgehorsams. Damit konnten sich die vor Gericht stehenden Militärs auf den Befehlsnotstand während der Diktatur zurückziehen - die juristische Aufarbeitung der Diktatur war vorerst vorbei.

Alfonsín verlor den politischen Rückhalt der Menschenrechtsbewegungen. Zudem rückten die Wirtschaftsprobleme immer mehr ins Blickfeld der Tagespolitik. Alfonsín hatte eine zerrüttete Wirtschaft und eine enorme Staatsverschuldung übernommen. Die peronistischen Gewerkschaften ließen ihrer Streikbereitschaft gegen seine von Nichtperonisten bestimmte Regierung freien Lauf und organisierten zwischen 1984 und 1989 rund 4.000 Streiks, davon 15 Generalstreiks.

1989 übergab Raúl Alfonsín, fünf Monate vor dem Ablauf seiner Amtszeit, die Präsidentschaft an seinen gewählten Nachfolger Carlos Menem.

Die Trauer über Alfonsíns Tod ist groß und echt. Alfonsín ist das Symbol des Übergangs geblieben. Er galt bis zum Schluss als integrer Politiker, der an den Umständen gescheitert ist. Das ist eine hohe Auszeichnung in einer Gesellschaft, in der das Wort Politiker ein Synonym für Korruption ist.

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