Regimekritiker Liu Xiaobo verurteilt: Eiszeit in Peking

Liu Xiaobo hatte Artikel und ein Manifest für ein gerechtes China im Internet veröffentlicht. Dafür wird er elf Jahre weggesperrt. Die Politiker beweisen damit wieder, dass sie Maos Enkel sind.

Protest vor dem Gerichtsgebäude in Peking. Bild: ap

PEKING taz | „Sein Verhalten hat die Grenzen der Redefreiheit übertreten und ist deshalb ein Verbrechen." Das ist der Kernsatz in dem Urteil, das Richter Jia Lianchun vom Pekinger Mittleren Gericht Nr. 1 am Freitag verhängte.

Dafür muss der Ehrenpräsident des unabhängigen chinesischen PEN-Clubs, Liu Xiaobo, elf Jahre ins Gefängnis. Es ist die härteste Strafe gegen einen politischen Kritiker in China, seitdem die „Untergrabung der Staatsgewalt" im Jahr 1997 als Straftat ins chinesische Gesetzbuch aufgenommen wurde.

Konkret hielt ihm das Pekinger Gericht sechs Internet-Artikel und das Reform-Manifest Charta 08 vor, die zur „Untergrabung der Souveränität des Staates und des sozialistischen Systems" aufgehetzt hätten.

Der in der Charta 08 formulierte Aufruf, das Monopol der Einparteienherrschaft zu beenden und eine Bundesrepublik China im Rahmen von Demokratie und Verfassungsrecht aufzubauen, sei als „Anstachelung zur Untergrabung der Staatsgewalt" zu werten. Das Dokument war vor einem Jahr im Internet veröffentlicht worden, Tausende Chinesen haben es inzwischen unterschrieben.

Der Prozess gegen Liu, der am Montag 54 Jahre alt wird, und die harte Strafe haben im In- und Ausland Entsetzen und scharfe Kritik ausgelöst. Das Urteil werfe „einen bedrohlichen Schatten auf Chinas jüngste Selbstverpflichtung, die Menschenrechte zu schützen und zu fördern", erklärte UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay.

„Die Absicht der Regierung ist es, eine eiskalte Botschaft auszusenden", sagte Joshua Rosenzweig, Mitarbeiter der amerikanischen Organisation Duihua, die sich für politische Gefangene einsetzt. Nach dem chinesischen Sprichwort „Ein Huhn töten, um die Affen in Angst zu versetzen" sei das Urteil eine Warnung an alle Demokratie-Aktivisten.

Regierungskritiker zeigten sich kurz nach dem Urteil allerdings beherzt. „Wir müssen jetzt erst recht mutig sein", forderte eine Hochschuldozentin am Samstag in einer Diskussionsveranstaltung in einem Pekinger Buchladen zum Thema „Solidarität".

Liu, ein ehemaliger Hochschullehrer und Literaturkritiker, kämpft seit zwanzig Jahren ebenso friedlich wie beharrlich für mehr demokratische Freiheiten in China. Sein Engagement in der Demokratiebewegung von 1989 büßte er mit 20 Monaten Gefängnis. Später verschwand er für drei Jahre im Arbeitslager und saß seither immer wieder im Hausarrest. Er lebte stets mit der Angst, dass die Polizei ihn jeden Moment erneut verschleppen könnte - so wie sie es schließlich in der Nacht zum 9. Dezember 2008 tat.

Das Urteil folgte auf eine juristische Farce. Der Prozess dauerte weniger als drei Stunden. Liu selbst beteuerte seine Unschuld und will den Richterspruch anfechten. Die Verurteilung Lius müsste alle aufrütteln, die den Versicherungen hoher KP-Funktionäre glauben, dass die Partei nichts anderes im Sinn habe als China langsam aber sicher in einen Rechtsstaat zu verwandeln.

Derzeit geschieht das Gegenteil. Fortschritte, die in den vergangenen Jahren von chinesischen Juristen und Bürgerrechtlern mühsam durchgesetzt wurden, sind gefährdet oder rückgängig gemacht worden: An die Spitze wichtiger Justizbehörden setzte die KP wieder Parteisoldaten ohne juristische Ausbildung. Rechtsanwälte werden unter Druck gesetzt, sobald sie ihre Arbeit ernst nehmen und sich in heiklen Prozessen engagieren.

Viele haben in den letzten Jahren ihre Lizenz verloren, werden verfolgt und zermürbt. Neue Vorschriften engen den Spielraum von chinesischen Journalisten ein, über Rechtsfälle zu berichten. Nach offiziellen Statistiken ist die Zahl der Verfahren wegen „Gefährdung der Staatssicherheit" in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen, im vergangenen Jahr wurden 1.407 Chinesen wegen dieses Delikts verurteilt, das waren doppelt so viele wie 2007.

Gleichzeitig wird der Ton schärfer, mit der die Pekinger Regierung und eine wachsende nationalistische Mittelschicht ausländische Kritik an der chinesischen Politik als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas" zurückweisen.

Aber Liu ist keine „innere Angelegenheit". Er hat nichts anderes getan, als sich friedlich dafür einzusetzen, dass sein Land besser und gerechter regiert wird. Das Urteil gegen ihn ist ein Verbrechen, begangen von jenen Herren und Damen in der KP-Führung, die ihre eigene Macht und Karriere sichern wollen. Sie rauben Liu elf Jahre seines Lebens, weil er seine Gedanken aufgeschrieben und zur Debatte über die Zukunft Chinas aufgerufen hat. Daran lässt sich nichts schönreden.

Pekings Führung setzt ihre Ziele auf internationaler Bühne immer selbstbewusster durch, wie der Klimagipfel in Kopenhagen bewies. Nach innen offenbaren die Funktionäre eine merkwürdige Unsicherheit, die auf Machtkämpfe in den Spitzenzirkeln der KP hindeutet.

Mao sagte einst: Du hast das Recht auf freie demokratische Diskussionen darüber, warum meine Politik richtig ist und wie sie effektiver durchgesetzt oder verbessert werden könnte. Eine Diskussion, warum meine Politik falsch ist, wäre keine Demokratie, sie wäre Konterrevolution.

Seine Nachfolger bauen inzwischen gläserne Bankentürme, handeln mit Aktien und haben die größten Devisenreserven der Welt angehäuft. Aber sie sind, wie sie jetzt bewiesen, immer noch die Erben Maos.

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