Umstrittene chinesische Sportlerin: Vom "Engel" zur "Verräterin"

Erst beschützte die Rollstuhl-Fechterin die olympische Fackel vor einem tibetischen Demonstranten. Dann verteidigte sie Carrefour und wurde zur Verräterin.

"Zuerst verliert sie ein Bein, jetzt auch noch den Verstand", schreibt ein Kritiker über die Rollstuhl-Fechterin. Bild: ap

Kaum jemand dürfte so schnell zur Volksheldin aufgestiegen sein, um darauf ebenso schnell bei einigen Landsleuten in Ungnade zu fallen wie Jin Jing. Die 27-jährige unterschenkelamputierte chinesische Fechterin hat in den letzten zwei Wochen genau diese bittere Erfahrung machen müssen.

Beim olympischen Fackellauf am 7. April in Paris wurde die Sportlerin im Rollstuhl in den Augen vieler Chinesen zur Heldin. Jin war als dritte Fackelläuferin eingeteilt. Als ein tibetischer Demonstrant die Polizeikette überwand und ihr die Flamme entreißen wollte, verteidigte sie das olympische Feuer instinktiv mit ihrem Körper. Laut chinesischen Medienberichten wurde sie dabei leicht verletzt. Dieser Angriff eines Gesunden gegen die Behinderte zählt zu den hässlichsten und unsportlichsten Szenen des umstrittenen Fackellaufs. IOC-Chef Jacques Rogge war schockiert. Der Fall dient vielen Chinesen als Beispiel für westliche Doppelmoral. Denn während alle chinesischen Medien darüber berichteten, wurde er in Berichten westlicher Medien kaum erwähnt.

Jin, deren Unterschenkel ihr wegen eines bösartigen Tumors im Alter von acht Jahren amputiert werde musste, wurde wegen des Vorfalls und ihres entschlossenen Verhaltens über Nacht zum Star der Pekinger Spiele, bevor diese überhaupt begonnen hatten. In China bekam sie Spitznamen wie "Engel von Paris" oder "Engel im Rollstuhl".

Jin stammt aus Hefei, der Hauptstadt der ostchinesischen Provinz Anhui. 2001 schloss sie sich in Schanghai dem Rollstuhl-Fechtklub an und stieg später in die Nationalmannschaft für Behinderte auf. Bei Chinas nationalen Meisterschaften wurde sie 2005 Dritte, beim Weltcup Fünfte. Einst arbeitete sie als Telefonistin, doch heute ist sie arbeitslos.

Gegenüber chinesischen Medien sagte Jin zunächst, dass Tibet für sie ein untrennbarer Teil Chinas sei. Doch als sie sich kürzlich gegen einen chinesischen Boykott der französischen Supermarktkette Carrefour wegen der Proteste gegen den Fackellauf in Paris aussprach, fiel sie bei nationalistischen Landsleuten in Ungnade. Jin argumentierte, ein Boykott würde vor allem die chinesischen Angestellten des französischen Konzerns treffen.

Darauf nehmen ihre Kritiker keine Rücksicht. Vielmehr wird in Internetforen jetzt über sie hergezogen. Dabei wird auch nicht vor behindertenfeindlichen Bemerkungen zurückgeschreckt wie "Zuerst verliert sie ein Bein, jetzt auch noch den Verstand" oder: "Deine Krebszellen müssen dir in den Kopf gestiegen sein." Andere nennen sie jetzt "Verräterin" oder fordern gar dazu auf, Jin Jing die Fackel gewaltsam aus der Hand zu reißen.

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