Protestbewegung im Iran: Zustimmung für Opposition wächst

Das Regime im Iran ist geschwächt, aber es hält die Macht fest in den Händen. Seine Gegner streiten über die richtige Strategie.

Demonstrant in Teheran. Bild: ap

Steht der Iran an der Schwelle zu einer Revolution oder vor einem samtenen Regimewechsel? Diese Frage gewinnt an Aktualität, je länger die im Juni 2009 begonnen Unruhen andauern. Fest steht, dass das Regime weitgehend seine Basis in der Bevölkerung verloren hat. Sogar größere Teile der staatlichen Elite stehen inzwischen auf Seiten der Opposition. Auch eine Reihe einflussreicher Großajatollahs ist auf Distanz gegangen - ein großer Verlust für einen Staat, der sich auf den Islam beruft.

Schließlich haben der Wahlbetrug vom Juni 2009, das brutale Vorgehen gegen die Opposition, die Folterungen, die Schauprozesse und die erzwungenen Geständnisse den Staat selbst für fromme Gläubige in Misskredit gebracht. Außerdem steckt der Iran wirtschaftlich seit der Regierungsübernahme durch Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2005 in einer tiefen Krise und geht außenpolitisch einer Eskalation entgegen, die in einen Krieg münden kann.

Doch bei aller Euphorie über das Erreichte können die Erfolge der Opposition nicht zu dem Schluss führen, dass der Iran am Abgrund steht. Noch verfügt das Regime über den gesamten Machtapparat, während die Opposition mit leeren Händen dasteht. Es ist nicht nur die Gewalt der Revolutionswächter, der Basidschi-Milizen, der Armee, der Polizei und zahlreicher paramilitärischer Organisationen, die das Regime einsetzen kann. Die Machthaber sind trotz Verlusten an der Basis immer noch in der Lage, Millionen zu mobilisieren. Schließlich ist die Wirtschaft nahezu gänzlich vom Staat monopolisiert. Und so lange Öl fließt, helfen die Einnahmen dem Regime, noch tiefere Krisen zu überstehen.

Dieser Macht steht eine Opposition gegenüber, die heterogen ist, keine eindeutige Führung hat und über keine einheitliche Organisation verfügt. Es sind zwar landesweit Millionen, die protestieren. Dennoch haben es die Proteste bisher nicht vermocht, auf die Fabriken und den Basar überzugreifen. Sie haben es auch nicht geschafft, Militärs, Milizen, Polizei und sonstige Sicherheitsorgane zu spalten.

Wichtig ist auch, dass die Protestbewegung von Kräften getragen wird, die zu einem Teil Reformen im Rahmen der Verfassung anstreben, zum anderen Teil aber einen Systemwechsel zum Ziel haben. Zu den Ersteren gehören vor allem die bei der Präsidentenwahl unterlegenen Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi, aber auch die Expräsidenten Mohammed Chatami und - wenn man ihn zur Opposition zählen wollte - Haschemi Rafsandschani. Sie und nicht die Radikalen geben bislang in der "Bewegung grüner Hoffnung" den Ton an.

Was kann die Opposition angesichts der ungleichen Machtverhältnisse fordern? Wie weit könnte sie sich wagen, um einerseits keine größeren Verluste, gar eine Niederlage zu riskieren, und um andererseits eine Spaltung zwischen Reformern und jenen, die einen anderen Staat anstreben, zu verhindern?

Die jüngste Erklärung von Mussawi vom 1. Januar hat der Diskussion Auftrieb gegeben. Darin bekennt sich Mussawi ausdrücklich zur Verfassung, wirft den Machthabern Verfassungsbruch vor und stellt konkrete Forderungen: Die Regierung müsse gegenüber dem Volk, dem Parlament und der Justiz die Verantwortung für die jüngsten Ereignisse sowie für die hausgemachten Probleme übernehmen. Das Wahlgesetz müsse reformiert werden, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen und um die Einflussnahme anderer Organe und Instanzen auszuschließen. Weiterhin fordert Mussawi die Freilassung der politischen Gefangenen, Pressefreiheit, Zulassung verbotener Zeitungen und die Unabhängigkeit von Fernsehen und Rundfunk. Als Letztes verlangt Mussawi Versammlungsfreiheit und die Freiheit, Parteien, Verbände und regierungsunabhängige Gruppen zu bilden.

Diese Forderungen könnten durch weitere ergänzt werden, schreibt Mussawi. Wichtig sei, dass die Reformen in Angriff genommen werden, um aus der Krise herauszukommen.

Die Ultrarechten haben auf Mussawis Forderungen mit scharfen Stellungnahmen reagiert. Die Vorschläge seien ein neuer Trick der ausländischen Geheimdienste und ihrer inländischen Kollaborateure, um den Plan eines samtenen Regimewechsels durchzusetzen.

Ganz anders wurde Mussawis Erklärung bei den sogenannten moderaten Konservativen aufgenommen. Aus deren Reihen gibt es gewichtige Stimmen, die in den Vorschlägen einen Versuch sehen, die nationale Einheit wiederherzustellen. Erstaunlich ist, dass das staatliche Fernsehen, das die Proteste bislang nahezu ignorierte, neuerdings Diskussionen ins Programm genommen hat, bei denen auch moderate Konservative und kritische Reformer zu Wort kommen. Diese kritisieren das brutale Vorgehen gegen Demonstranten und die Festnahmen und sie machen auch die Regierung Ahmadinedschad für die Krise verantwortlich. Ein Journalist erklärte sogar, im Iran gebe es keine freie Presse. Während also ein Teil aus dem konservativen Lager auf Versöhnung zusteuert, gehen die Ultrarechten brutal gegen die Opposition vor. Zeichen für eine Spaltung im Lager der Konservativen? Ein abgekartetes Spiel? Oder der Versuch, die Opposition zu spalten?

Innerhalb der Opposition löste die Erklärung Mussawis eine kontroverse Debatte aus, am stärksten unter der Auslandsopposition. Zahlreiche Personen und Gruppen unterstützten die Forderungen, darunter fünf prominente Reformer: Abdolali Basargan, Abdolkaim Sorousch, Akbar Gandschi, Mohsen Kadiwar und der ehemalige Kultusminister Ataollah Mohadscherani.

In einer am 4. Januar veröffentlichten Stellungnahme gehen die fünf, die sich im Ausland aufhalten, allerdings von der Annahme aus, dass Mussawi aufgrund bestehender Einschränkungen seine Forderungen auf ein Minimum reduzieren musste. Sie müssten daher ergänzt werden. So verlangen die Autoren unter anderem den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen, die Rehabilitierung und Entschädigung der politischen Gefangenen, die vollständige Aufhebung der Zensur, auch die der Internetdienste, Autonomie der Universitäten sowie Unabhängigkeit der Justiz und die gerichtliche Verfolgung all jener, die gegen Demonstranten vorgegangen sind und an Folterungen und Erschießungen beteiligt waren.

Keine Kompromisse mehr

All jenen, die einen Systemwechsel anstreben, reichen solche Forderungen nicht aus. Das System sei nicht reformierbar, argumentieren sie. Die Herrschaft der Geistlichkeit sei mit demokratischen Strukturen nicht vereinbar. Die in der Verfassung verankerte nahezu unbegrenzte Macht des Revolutionsführers, die Funktion des Wächterrats und dergleichen mehr stünden im Widerspruch zu freien Wahlen und gesellschaftlichen und individuellen Rechten und Freiheiten. Man dürfe jetzt keine Kompromisse eingehen und die sich bietende Chance hin zu einem demokratischen Staat nicht verpassen.

Andere akzeptieren zwar diese Argumente, vertreten jedoch die Meinung, die aufgestellten Forderungen seien gerade deshalb richtig, weil sie letztlich den Rahmen der Verfassung sprengen. Radikalere Forderungen seien unrealistisch. Sie würden zudem zu einer Spaltung führen und einen Teil der Opposition in die Arme des Regimes treiben.

Der prominente Politiker Esatollah Sahabi, der der Gruppe "National-Religiöse Irans" angehört, warnte kürzlich in einem offenen Brief an die Auslandsopposition, die Bewegung zu radikalisieren. Politische Forderungen dürften sich nicht allein nach der absoluten Wahrheit richten, sie müssten auch durchsetzbar sein und eine Chance auf Erfolg haben.

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