Analyse Wählerwanderungen: Blutzoll für die FDP

Unionswähler strömen zur FDP, SPD-Anhänger verweigern den Gang an die Urne oder wandten sich den Grünen oder der Linkspartei zu. Strittig die These vom "Ende der Volksparteien".

Wenig rot - die Unfähigkeit der SPD, ihre Stammwähler zu mobilisieren. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Stimmenmehrheit für eine schwarz-gelbe Koalition bei der Bundestagswahl und die Zugewinne der FDP rühren nach Aussagen der führenden Meinungsforschungsinstitute Deutschlands vor allem aus zwei Wählerbewegungen: Rund zwei Millionen traditionelle SPD-Anhänger verweigerten den Gang an die Urnen, und Unionswähler, die eine Neuauflage der großen Koalition um jeden Preis verhindern wollten, gaben ihre Stimme der FDP.

"Das war der Blutzoll, den die Union an die FDP zahlen musste, damit es die schwarz-gelbe Koalition gibt", unterstrich Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen die Binnenwanderung im bürgerlichen Lager. Diese "Last-minute-Schwächung" der CDU sei keine längerfristige Wählerfestlegung, spreche aber dafür, dass Stimmen mittlerweile taktisch-strategischer verteilt würden, unterstrich Richard Hilmer von Infratest dimap.

Die Unfähigkeit der SPD, ihre Stammwähler ausreichend zu mobilisieren, führte Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach unter anderem auf deren niedrige Identifizierung mit der großen Koalition zurück. Die "Ampelkoalitionsspielchen" von Frank-Walter Steinmeier haben zudem SPD-Wähler zur Linken getrieben, ergänzte Jung. Insgesamt verloren die Sozialdemokraten an alle Parteien Stimmen, vor allem aber an die Linke und die Grünen. Die FDP wiederum gewann aus allen Lagern Stimmen dazu.

Die Abwanderungsbewegungen von der Union hin zur FDP haben laut Aussage der Demoskopen vor allem männliche Wähler zu verantworten. Bei den Wählerinnen habe die CDU hingegen erneut zugelegt. Interessant sei auch, dass die Partei in allen westlichen Bundesländern verloren, in den östlichen Ländern jedoch Stimmen dazugewonnen habe, sagte Hilmer.

Obwohl ältere Wähler aus demografischen Gründen die Wahlergebnisse stärker bestimmen als Jungwähler, stieß auch deren Wahlverhalten auf Interesse: So habe die Union bei den jungen Wählern nicht besonders punkten können, unterstrich Hilmer. Von der SPD seien die Jungwähler gar in großer Zahl und vor allem zu den kleinen Parteien - unter anderem zu den Piraten - abgewandert. Die neue Partei landete bundesweit bei 2 Prozent, von den Erstwählern gaben ihr jedoch knapp 8 Prozent die Stimme. Bei jungen Männern bis 30 Jahre liegt der Wert sogar über 10 Prozent.

Ob der gestrige Wahltag das Ende der traditionellen Volksparteien bedeute, darüber waren sich die Demoskopen nicht einig. Optimistisch zeigte sich Köcher: Gewänne die SPD in der Opposition an Schärfe, habe sie Chancen zur Konsolidierung. Vorsichtige Hoffnung gab es im Hinblick auf künftige Wahlkämpfe: Diese würden an Schärfe und programmatischer Tiefe gewinnen, prophezeite Hilmer.

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