Regierungsbildung nach Bundestagswahl: Union fürchtet die gelbe Gefahr

Nach der Bundestagswahl strotzt die FDP vor Kraft. In den Koalitionsverhandlungen mit der Union fordert sie Steuersenkungen und eine Korrektur der CDU-Innenpolitik.

Es hat lange gedauert, aber nun haben sie sich gefunden: Westerwelle und Merkel. Bild: dpa

Wie sehr die Union die anstehenden Verhandlungen mit der kraftstrotzenden FDP fürchtet, das zeigte am Montag am deutlichsten Wolfgang Bosbach. Der Unions-Fraktionsvize urteilte mit Blick auf die Freidemokraten: "Natürlich werden sie mit breiter Brust an den Verhandlungstisch kommen." Als Pfeifen im Walde wirkte Bosbachs Zusatz: "Aber die FDP weiß selber, dass die Union doch noch deutlich stärker ist als die Liberalen."

Dass dieser Umstand überhaupt einer Erwähnung bedurfte, ist ein Eingeständnis der Verunsicherung auf Unions-Seite. Das sensationelle Abschneiden der FDP degradiert die CSU zum mit Abstand kleinsten Koalitionär, und von der "Volkspartei" CDU trennen die FDP weniger als 13 Prozentpunkte. Alte Gewissheiten über schwarz-gelbe Regierungen geraten ins Wanken, eine bloße Neuauflage der Kohlschen Koalition von 1982 bis 1998 wird Westerwelle nicht zulassen. Was bedeutet das für die Politik der kommenden Bundesregierung?

"Zügig, aber eben auch gründlich" wollten die Parteien verhandeln, verkündete Westerwelle am Montag vor der Hauptstadtpresse. Bereits am Nachmittag wollte er Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Vieraugengespräch treffen. Bei aller Siegeseuphorie und der Betonung beider Seiten, man habe den Wunschpartner erhalten - die Koalitionsverhandlungen werden hart werden.

Ganz besonders beim Thema Steuern. "Wir haben immer nur eine einzige Bedingung gemacht im Wahlkampf", erklärte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. "Wir brauchen eine echte Steuerstrukturreform, eine Vereinfachung und Entlastung im Steuersystem." Zwar gilt als unwahrscheinlich, dass sich die Freidemokraten mit ihrem Maximalziel durchsetzen werden: einem radikal eingeebneten System der Einkommensteuer mit den drei Stufen 10, 25 und 35 Prozent. Doch wird die FDP ihrer zentralen Wahlkampfforderung Taten folgen lassen müssen, und das angesichts einer Rekordneuverschuldung im kommenden Jahr.

Wahrscheinlich ist daher, dass sich Union und FDP auf niedrigere Eingangssteuersätze einigen werden. Auch auf die Anhebung des Steuerfreibetrags für Kinder auf 8.004 Euro könnte sich die Koalition einigen: Je nach Parteiensicht ließe sich dies als Förderung von Familien verkaufen (Union) oder als Entlastung der sogenannten Mittelschicht (FDP). Beide Seiten sind zudem gegen die Erhöhung von Erbschaft- und Vermögensteuer.

Ansonsten wird Merkels CDU aller Voraussicht nach die undankbare Aufgabe zukommen, gegen die Forderungen von FDP und CSU die Vernünftige zu spielen: Um Steuererhöhungen, womöglich bei der Mehrwertsteuer, wird Schwarz-Gelb nicht herumkommen. In diesem Feld wird die FDP Merkel immer wieder die Schuld zuweisen. Das ließe sich nur vermeiden, wenn ein Gelber den Posten des Finanzministers übernähme.

Spannend wird es auch beim Thema Innen- und Justizpolitik. Wird die FDP die Kernziele ihrer liberalen Bürgerrechtspolitik umsetzen können, oder werden sie der Koalitionsarithmetik geopfert werden? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die zum zweiten Mal Justizministerin werden könnte, gab sich am Montag kämpferisch: Zwischen ihrer Partei und der Union sehe sie "deutliche Unterschiede". Durch den Koalitionsvertrag müsse klar werden: "Die FDP trägt hier zu einem Aufbruch, auch zu einer Korrektur der letzten vier Jahre bei." Die FDP hat sich seit Langem gegen die sogenannte Vorratsdatenspeicherung von Informationen über Online- und Telefonverbindungen ausgesprochen. Ebenso ist sie gegen Sperrlisten im Internet, wie Schwarz-Rot sie in Bezug auf Kinderpornografieseiten durchgesetzt hat. Auch ein Einsatz der Bundeswehr im Inland, wie ihn Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) seit Jahren fordert, kommt für die FDP nicht infrage.

Bei einem Großthema wird sich die selbstbewusste Westerwelle-Partei mit ihren bisherigen Zielen nicht durchsetzen: bei Gesundheit und Pflege. Die FDP will laut Wahlprogramm nichts Geringeres als die Abschaffung der gesetzlichen Gesundheits- und der Pflegeversicherung. Ein gesetzlich festgelegter Basistarif soll die Grundlage der medizinischen Versorgung sichern. Alle weiteren Risiken lassen sich aus FDP-Sicht individuell mit Zusatzversicherungen bezahlen. Ähnlich sieht es bei der Pflege aus. Würden sich die Gelben damit in Verhandlungen durchsetzen, wäre dies das Ende des Solidarprinzips. Der dann aufbrausende Proteststurm von Bürgern und Kassen ließe den Streit über den Gesundheitsfonds wie eine laue Brise erscheinen. Wahrscheinlicher ist, dass Union und FDP es bei kleineren Änderungen des Fonds belassen und ansonsten niedergelassene Ärzte und Apotheker vor unliebsamer Konkurrenz schützen. Zumindest setzen Vertreter von Pharmaindustrie, Ärzten und Apothekern darauf. Sie bejubelten am Montag den Machtwechsel.

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