Familien-Expertin Notburga Ott: "Betreuungsgutscheine für alle"

Die Gutscheine machen Sinn, wenn die Eltern sie so für ihre Kinder einsetzen können, wie sie wollen, meint die Chefin des Beirats für Familienfragen, Notburga Ott.

Geschlossene städtische Kindertageseinrichtung in Duisburg Meiderich. Bild: dpa

taz: Frau Ott, einige Experten wie der Familienforscher Hans Bertram finden das geplante Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in die Kita geben, nicht schlecht. In Finnland hätte man damit gute Erfahrungen gemacht. Sehen Sie das auch so ?

Notburga Ott: Nein, ich halte es für grundsätzlich falsch, eine Geldleistung an die Frage zu koppeln, ob jemand eine Kita in Anspruch nimmt oder nicht. Wir geben doch auch nicht den Autofahrern Geld, weil sie nicht den Bus nehmen.

Halten Sie die von der CDU ins Spiel gebrachten Gutscheine für sinnvoller?

(55) ist Professorin für Sozialpolitik und öffentliche Wirtschaft in Bochum und Vorsitzende des Beirats für Familienfragen, der das Familienministerium berät.

Wir als Beirat für Familienfragen haben uns in unserem Gutachten sehr für ein Gutscheinmodell ausgesprochen. Aber die Gutscheine muss es für alle Eltern geben, so dass sie über die Form der Betreuung entscheiden können. Wenn Sie den Gutschein in der Kita einlösen: gut. Wenn sie damit selbst etwas organisieren: prima. Wir haben früher auch mit ein paar Eltern unseren eigenen Kinderladen aufgemacht. Genau das kann der Staat unterstützen. Wir brauchen Betreuungsgutscheine für alle.

Die CDU will sie aber nur für daheim bleibende Kinder.

Warum soll man zwei unterschiedliche Systeme installieren? Der Staat fördert die Kitas doch ohnehin. Nun würde er das Geld nicht den Kitas geben, sondern in Form von Gutscheinen den Eltern. Der Effekt wäre, dass die Kitas sich etwas mehr an den Wünschen der Eltern orientieren müssen. Damit hätten Eltern dann maximale Wahlfreiheit.

Wie passt ein vom Bund finanzierter Gutschein mit der Bildungshoheit der Länder zusammen - und mit der Kitafinanzierung durch die Kommunen?

Auf jeden Fall besser als das jetzige Modell: Der Bund finanziert Investitionen und es gibt einen Umsatzsteueranteil für die Länder, der aber nicht zweckgebunden sein darf. Da ist es doch viel eleganter, wenn der Bund einfach die einzelnen Eltern fördert. Das darf er nämlich, und zwar durchaus zweckgebunden. Welche konkreten Angebote damit in Anspruch genommen werden können, kann dann von den Ländern entschieden werden.

In Hamburg gibt es schon länger ein Gutscheinsystem, das stark kritisiert wurde. Viele Mütter konnten sich keinen Job suchen, weil sie keinen ausreichenden Gutschein bekamen.

Das war ein zu restriktives Modell, in dem nur, wer einen Job nachweisen konnte, einen Gutschein bekam. Auch an der Zahl der Betreuungsstunden wurde gespart. Doch das sind Probleme der Handhabung, nicht des Modells an sich. Wenn Sie Eltern großzügig mit Gutscheinen ausstatten, dann können sogar Angebote entstehen, die sich heute nur Reiche leisten können: Jemand könnte sich etwa auf Früh- oder Spätbetreuung für Schichtarbeitende spezialisieren.

Die CSU munkelt, Familienministerin Köhler habe sich bereits für das Betreuungsgeld entschieden. Vielleicht wäre das gar nicht so schlimm? Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat herausgefunden, dass das Betreuungsgeld kaum eine Wirkung hätte.

Das Betreuungsgeld wird bei den meisten Eltern nicht das Verhalten ändern, sondern eher Mitnahmeeffekte produzieren. Das Problem ist, dass wahrscheinlich gerade die Familien mit niedrigem Einkommen die Kinder wegen der 150 Euro vom Staat aus den Kitas herausnehmen. Diesen Kindern fehlen dann Erfahrungen, die sie nur in den Einrichtungen machen können.

Viele Deutsche meinen, dass Kleinkinder bei den Müttern am besten aufgehoben sind.

Es heißt aber nicht umsonst, dass es ein Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen. Früher gab es mehr dörfliche oder kleinstädtische Nachbarschaften, in denen Kinder zusammen umherziehen konnten. Wenn heute eine Alleinerziehende mit ihrem Kind im Hochhaus wohnt, dann hat das Kind solche Erfahrungen nicht mehr. Diese Erfahrungsräume kann eine Kita wieder eröffnen. Soll der Staat einfach dabei zusehen, dass immer mehr Kinder nicht schulreif sind, weil ihnen außerfamiliäre Erfahrungen fehlen?

Nach dem Bildungsgipfel sieht es nach Weiterwursteln aus.

Wir brauchen erst 2013 eine Lösung dieser Frage. Bis dahin können wir öffentlich debattieren. Wenn die Politik in zwei Jahren anfängt Gesetze zu basteln, liegen durchdiskutierte Vorschläge auf dem Tisch. Das ist eigentlich eine optimale Situation für eine gute politische Entscheidung.

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