Die Grünen: Widerstand im System Fischer

Seit er sich beim Thema Afghanistan gegen die Parteispitze durchsetzte, ist der grüne Kreisschriftführer Robert Zion eine prominente Reizfigur.

Robert Zion: Für Cohn-Bendit ein Jakobiner aus der Kohlenpott-Tristesse Bild: dpa

Was er als nächstes plant? Seit dem Sieg auf dem Göttinger Afghanistan-Parteitag, als Robert Zion der grünen Nomenklatura beinahe im Alleingang das Fürchten lehrte, trauen ihm viele so manches zu. Den Rauschmiss von Daniel Cohn-Bendit? Den Sturz des Bundesvorstandes? Würde ihm vielleicht ein Bundestagsmandat reichen? Zion schmunzelt. Als nächstes bereite er die Herausgabe einer dreibändigen Werkausgabe der Romane des vor den Nazis in die USA emigrierten Schriftstellers Curt Siodmak vor. "Wenn ich wieder Zeit finde."

Schon Ende November könnte es zum nächsten Showdown kommen: auf dem Bundesparteitag in Nürnberg. Nach der Friedens- wird es um die soziale Frage gehen - und dabei nicht zuletzt um die Aufarbeitung rot-grüner Regierungszeit, sprich um die Agenda 2010 und um Hartz IV.

Gerüchte, er bereite einen eigenen Antrag vor, nennt Zion zwar Unsinn. Aber eine Meinung hat er schon: "Der Fehler war, sich die größte Sozialreform, die diese Republik je erlebt hat, in nicht unwesentlichen Teilen vom Personalchef einer Automobilfirma schreiben zu lassen." Denn schließlich sei diese Gesellschaft "keine Automobilfirma, und Politik ist keine Betriebswirtschaftslehre". Es sei an der Zeit, "über grundlegende Alternativen wie etwa das Grundeinkommen für alle nachzudenken".

In Nürnberg werden sich die Kameras also wieder auf Zion richten. Der Rummel ist dem 41 Jahre alten gelernten Koch nicht ganz geheuer. Er hatte nicht damit gerechnet, als er gemeinsam mit einigen Parteifreunden die Initiative für einen Sonderparteitag zu Afghanistan ergriff. Doch spätestens seit sich im September in Göttingen die Mehrheit der Delegierten für den von ihm mitformulierten Antrag entschied, sieht es anders aus. Ein "Crashkurs deutsche Medienlandschaft" sei das wohl gewesen, was da über ihn hereinbrach, sagt er. Die Öffentlichkeit brauche die Dramatisierung und Personalisierung von Politik, ihm sei das jedoch "total unlieb". Schließlich sei sein Parteitagserfolg eine Gemeinschaftsproduktion gewesen. Seine Göttinger Rede hat Zion auf seine Homepage gestellt - mit einer namentlichen Danksagung an zehn Mitstreiter für ihren Beitrag zu dieser Rede. Dass bei der Bundestagsabstimmung über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr vergangene Woche 15 grüne Abgeordnete dafür, sieben dagegen gestimmt und sich 28 enthalten haben, wertet er als "Erfolg für die Parteibasis". Damit hätten sich immerhin über zwei Drittel der Parlamentarier dem Parteitagsbeschluss angeschlossen.

Zion zieht einigen Ärger auf sich. Ein grüner Bundestagsabgeordneter, der sicherheitshalber ungenannt bleiben will, sagt: "Wenn Zion die Partei zum Abklatsch Lafontaines machen will, wird es Ärger geben." Cohn-Bendit sah sich genötigt, Zion einen "offenen Brief" zu schreiben: "Ein Blick in die französische Revolution würde dir zeigen, dass die ,Kopf-Ab-Mentalität' der Jakobiner fatale Folgen für die demokratische Substanz eines revolutionär-gesellschaftlichen Prozesses hat."

In einem ebenfalls offenen Brief an die Bundestagsfraktionschefs hatte Zion zuvor über Cohn-Bendit geschrieben: "Dieser Mann ist für diese Partei kaum noch tragbar und zu ertragen, auch das wissen wir seit Göttingen." Vor Göttingen hätte das Schreiben niemand groß zur Kenntnis genommen. Danach schon. Den Brief würde er "wahrscheinlich heute so nicht mehr schreiben", sagt er inzwischen selbstkritisch. Der diplomierte Sozialwissenschaftler muss erst noch lernen, mit der ihm neu zugewachsenen Aufmerksamkeit zurecht zu kommen.

Dass sich der berühmteste grüne Kreisschriftführer der Welt bei der kommenden Bundestagswahl um einen aussichtsreichen Platz auf der nordrhein-westfälischen Landesliste bewerben wird, halten grüne Parteistrategen für ausgemacht. Sie räumen ihm beste Chancen ein. Zumindest ökonomisch dürfte der Parlamentsjob für einen "Angehörigen des akademischen Prekariats", wie er sich selbst nennt, nicht uninteressant sein. Doch das Attac-Mitglied weist solche Spekulationen als "Quatsch" zurück. Noch jedenfalls. Geübt hat Zion schon einmal: Im Bundestagswahlkampf 2005 bewarb er sich um ein Direktmandat - und erreichte ein 2,66 Prozent der Erststimmen. Gelsenkirchen ist nicht Kreuzberg.

Er wäre aber nicht der erste, den die Grünen aus der trostlosen Ruhrgebietsstadt nach Berlin schickten. Mit dem Ex-Parteivorsitzenden Ludger Volmer, nach dem rot-grünen Wahlsieg 1998 Staatsminister in Fischers Auswärtigem Amt und heute Politpensionär, trifft sich Zion manchmal. Eine Verbindung hält Zion auch weiter zu dem ausgetretenen Münsteraner Landtagsabgeordneten Rüdiger Sagel, ursprünglich einer der Mitinitiatoren des grünen Sonderparteitags. Dessen Faible für die Linkspartei kann Zion allerdings nicht nachvollziehen. Die "Linke" habe nichts weiter als "Sozialismusromantizismen" anzubieten, sagt er.

Eingetreten in die Grünen ist Zion 2002 - zu einem Zeitpunkt, zu dem andere gerade desillusioniert über die rot-grüne Regierung der Partei den Rücken gekehrt hatten. Vielleicht hat das auch mit seiner Vorliebe für Horrorfilme zu tun. Seine Biographien über den Trash-Regisseur William Castle und den Horrorschauspieler Vincent Price tragen die Titel "Die Macht der Dunkelheit" und "Die Kontinuität des Bösen". Bei den Grünen setzt Zion nun auf Veränderung. In einem schmerzhaften Prozess habe die Gründergeneration gelernt, regierungsfähig zu werden. Doch jetzt sei es notwendig, "unsere Oppositionsfähigkeit wieder zu erlernen". Erst das würde ein "endgültiges Ankommen in der Politik bedeuten". Dazu gehöre neben einer "schonungslosen Aufarbeitung des Systems Fischer" auch ein "Generationenumbruch". Für manchen an der Grünen-Spitze ist das in der Tat eine Horrorvorstellung.

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