BND bezahlte Gestapo-Mann: Die Akte Klaus Barbie

Der Student Peter Hammerschmidt bat beim BND um Akteneinsicht, ließ nicht locker und fand heraus: Nazi-Schlächter Klaus Barbie spitzelte in den 60ern für den BND.

Hammerschmidt fragte nach – und kam rein beim BND. Bild: reuters

Plötzlich war er in der Gefängniszelle. Vor ihm Klaus Barbie – was für ein Glück! Nun konnte er dem "Schlächter von Lyon" alle Fragen stellen, die ihn beschäftigten. Die monatelange Recherche abschließen, all die Rätsel lösen, an denen sich die Historiker seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen. Die Chance seines Lebens. Doch dann wachte Peter Hammerschmidt auf und verstand: Es war nur ein Traum. "Da wusste ich, dass ich die Akten jetzt mal für drei Tage weglegen sollte."

Peter Hammerschmidt ist – noch – Geschichtsstudent. Er sitzt am Esstisch seines Elternhauses in Ramstein-Miesenbach, einem Dorf in der pfälzischen Provinz. Ein typisches westdeutsches Einfamilienhaus am Rande eines Wendehammers, das Wohnzimmer ist etwas überheizt. Hier, genau an diesem Tisch entstand ein Großteil der Examensarbeit des 24-Jährigen, der mit seinen Recherchen in staubigen Archiven seit Monaten bedeutende Institutionen der Republik auf Trab hält: den Bundesnachrichtendienst (BND) vor allem, aber auch den Bundestag und das Kanzleramt. Nebenher befeuert Hammerschmidt eine neue geschichtspolitische Debatte über die braune Vergangenheit der frühen Bundesrepublik. Und wenn es dumm läuft, könnten seine Forschungen schließlich zu diplomatischen Turbulenzen mit Frankreich, den USA oder auch Israel führen.

Alles Sonntagsreden

Hammerschmidt, ein smarter junger Mann mit gerade entferntem Piercing, hat als Erster überhaupt hieb- und stichfest nachgewiesen, dass der international jahrzehntelang gesuchte Kriegsverbrecher, Foltermeister und Obernazi Klaus Barbie noch Mitte der 1960er Jahre eine Zeit lang Agent des westdeutschen Auslandsgeheimdienstes war. Bezahlt, ja, sehr gut bezahlt von einem Staat, dessen Repräsentanten sich zugleich in Sonntagsreden von den Untaten der Nazis distanzierten und dessen Strafverfolgungsbehörden angeblich gerade Jagd auf den Massenmörder machten.

Klaus Barbie wurde 1913 als Sohn eines Lehrerehepaars in Bad Godesberg geboren. Im Jahr 1934 trat er der SS bei. Während des Kriegs wurde Barbie zunächst in den Niederlanden eingesetzt, ab November 1942 war er Chef der Gestapo in Lyon. Dort folterte und ermordete er Mitglieder der Résistance und verantwortete die Deportation von 44 Kindern nach Auschwitz. Nach dem Krieg tauchte er erst in Deutschland, dann in Bolivien unter. Erst 1983 wurde er nach Frankreich ausgeliefert, wo ihm der Prozess gemacht wurde. Im Juli 1987 zu "lebenslänglich" verurteilt, starb Barbie 1991 in französischer Haft an Krebs. (ges)

Dabei hat Hammerschmidt, der mit seiner Haartolle an eine moderne Version des rasenden Reporters Tim des belgischen Zeichners Hergé erinnert, ganz nebenbei selbst noch etwas Geschichte geschrieben, in ganz anderem Sinne: Mit großer Wahrscheinlichkeit war er der erste Historiker überhaupt, der Akten des BND einsehen durfte.

Wie es dazu kam? Wie in jeder guten David-und-Goliath-Geschichte eigentlich ganz einfach. Da gibt es einen 19-jährigen Abiturienten, der sich, weil ihm Geschichte in der Schule immer "viel Spaß gemacht hat", 2006 entschließt, in Mainz Geschichte und Deutsch auf Lehramt zu studieren. In einer Seminararbeit stößt Hammerschmidt auf die "Rattenlinien", also die Schleusung ehemaliger Nazi-Größen ins sichere Lateinamerika mit Hilfe des Vatikans, des Roten Kreuzes und westlicher Geheimdienste unmittelbar nach dem Krieg.

Einer der Geschleusten war Barbie, der für Frankreich von ähnlich symbolischer Bedeutung war wie der Holocaust-Organisator Adolf Eichmann für Israel. Barbie, Gestapo-Chef in Lyon, hatte vermutlich höchstpersönlich den Chef der französischen Résistance, Jean Moulin, zu Tode gefoltert und 44 jüdische Kinder aus dem Waisenhaus von Izieu ins Vernichtungslager Auschwitz deportieren lassen.

Über die Rattenlinie nach Bolivien

Doch der US-amerikanische Heeresgeheimdienst CIC deckte Barbie nach dem Krieg und gab ihm eine neue Aufgabe: Wie viele ehemalige Gestapo-Leute sollte der alles andere als reuige Nazi im beginnenden Kalten Krieg gegen die Kommunisten kämpfen helfen. Als die Sache zu heiß wurde, schleuste der CIC Barbie über die Rattenlinie nach Bolivien, wo Barbie, nun Klaus Altmann genannt, in der Hauptstadt La Paz mit meist eher zwielichtigen Geschäften Karriere machte und sich bald bester Beziehungen zur dortigen Junta rühmen konnte.

Rund 40 Jahre später in Mainz findet es Hammerschmidt "unbegreiflich", dass es so wenig seriöse Literatur über Barbie gibt. Er beginnt kurzerhand selbst zu recherchieren und, dank eines Stipendiums, recherchieren zu lassen: in verschiedenen deutschen Archiven, aber auch in Frankreich und den USA. Selbst beim CIA fragt er an. Er kontaktiert Zeitzeugen und Barbie-Experten, darunter die Barbie-Tochter sowie die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld, berühmt wegen ihrer Ohrfeige für den Exnazi und späteren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Er spricht sogar mit Gerd Heidemann, der mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern den Stern ruinierte. "Man hat irgendwann Blut geleckt", sagt Hammerschmidt.

"Ich will wenigstens eine Absage haben"

Nach einem halben Jahr Recherche scheint Hammerschmidt eigentlich schon alles wichtige Material zusammenzuhaben. Da schreibt er – nach dem Motto "Ich will wenigstens eine Absage haben" – aufgrund einer kleinen Bemerkung in den Akten zum Thema Barbie eine E-Mail an den BND: "Es wäre nett", so heißt es ebenso naiv wie entwaffnend in dem achtzeiligen Schreiben, "wenn Sie meine Forschungen unterstützen könnten." Prompt kommt eine freundliche, aber klare Absage des Pullacher Dienstes.

Doch Hammerschmidt lässt nicht locker, schreibt erneut an den BND und wortgleich an das Kanzleramt, die oberste Aufsichtsbehörde des BND. Er argumentiert, schärfer nun und mit gehöriger Chuzpe, er sehe es "als Bürger dieses Landes als mein Recht, und als engagierter Zeithistoriker als meine Pflicht, der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit bundesdeutscher Behörden einen Schritt näher zu kommen".

Hammerschmidt beruft sich auf Gabriele Weber

Zugleich beruft sich Hammerschmidt auf den juristischen Sieg der freien Journalistin Gabriele Weber über den BND. Weber hat eine zumindest teilweise Freigabe von BND-Akten zu Eichmann mit vielen Klagen, bis hin zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, erstritten. So und dank ähnlicher Mühen der Bild kam jüngst heraus, dass die Vorläuferinstitution des BND, die "Organisation Gehlen", schon 1952 ziemlich genau wusste, wo Adolf Eichmann, der Hauptplaner der Todestransporte in die NS-Vernichtungslager, lebte. Hammerschmidt blufft ein wenig und droht dem BND, er könne ja wie Weber "ebenfalls weitere Schritte in Bezug auf Barbie einleiten".

Das wirkt. Wohl auch um den Imageschaden durch das Eichmann-Debakel auszugleichen, darf Hammerschmidt Ende September vergangenen Jahres in Pullach fünf Akten zum Fall Barbie einsehen. In den streng geheimen Plattenbauten hinter dem berühmten Betonzaun der Behörde wird er – ganz Klischee – von einem Mann im Trenchcoat empfangen. Sein Handy muss er abgeben, die Fotofunktion seines Laptops abschalten. Zwei Tage lang darf Hammerschmidt die BND-Akten zu Barbie einsehen – stets beobachtet von einem oder zwei Geheimdienstleuten, die jede Bewegung von ihm registrieren. Kopien bekommt er später ausgehändigt.

Die Akten raubten ihm den Atem

Was Hammerschmidt sieht, raubt ihm fast den Atem. "Tut mir leid", sagt er zu seinen Aufpassern nach einem ersten Blick in die Akten, "ich muss erst mal eine rauchen gehen." Die Akten beweisen, dass der deutsche Steuerzahler Barbie über den BND ein gutes halbes Jahr lang monatlich 500 Mark für seine Spitzeldienste zahlte, Leistungsprämien und ein Abschlussbonus von 1.000 Mark kamen noch dazu. Barbie wurde erst abgeschaltet, als dem BND offenbar klar wurde, dass dessen wahre Identität bald auffliegen würde. Hammerschmidt glaubt keine Sekunde, dass die BND-Leute damals nicht genau wussten, wen sie vor sich hatten – Barbie gab sich in La Paz kaum Mühe, seine wahre Identität zu verbergen.

Hammerschmidt stellte Erkennntnisse ins Netz

Nach Hammerschmidts Recherche in Pullach gibt der BND seine Barbie-Akten an das Koblenzer Bundesarchiv weiter – es ist klar, dass es nun nur noch eine Frage der Zeit ist, ehe auch andere Historiker auf den heißen Stoff stoßen. Als der junge Student Wind davon bekommt, dass auch der Spiegel an der Geschichte dran ist, veröffentlicht er seine Erkenntnisse Anfang Januar auf zwei kaum bekannten Internet-Seiten (etwa: www.egoisten.de/files/barbie_2011.html).

Er tut das, um deutlich zu machen: Ich habe das zuerst herausgefunden! Das ist wichtig auch für seine Examensarbeit und eine geplante Dissertation über Barbie. Mitte Januar kommt der Spiegel dann mit seiner Geschichte heraus. Das Nachrichtenmagazin profitierte von der Pionierarbeit Hammerschmidts beim BND.

Auch BBC fragt an

Und nun? Mitte Januar hat die Linkspartei im Bundestag eine Debatte über den BND und seine Nähe zu Eichmann und Barbie erzwungen. Die Grünen verlangten am vergangenen Mittwoch: Die Bundesregierung solle bis spätestens Mitte 2011 einen öffentlich zugänglichen Bericht über den Umfang der beim BND vorhandenen "Akten und Erkenntnisse" zu Eichmann und Barbie vorlegen. Der Geheimdienstausschuss des Parlaments hat sich hinter verschlossenen Türen mit dem Eichmann-Barbie-Komplex beschäftigt. Ende Januar bestätigte Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) der Linkspartei erstmals offiziell, dass der BND 1966 einen Klaus Altmann alimentierte - ob der Dienst damals jedoch wusste, dass dies Barbie war, sei noch zu klären, so Pofalla.

Unterdessen sitzt Peter Hammerschmidt an seinem Bauerntisch in Ramstein-Miesenbach und kann es kaum fassen, dass er nicht nur der BBC, sondern auch französischen, israelischen und bolivianischen Medien Interviews geben soll. Für seine Examensarbeit hat er gerade eine Eins bekommen. Im Mai und Juni hat er seine mündlichen Prüfungen, dann ist er fertig mit dem Studium und kann Lehrer für Deutsch und Geschichte werden.

Aber kann er sich nach diesem Coup wirklich vorstellen, nicht in die historische Forschung zu gehen? "Eigentlich nicht", sagt er lachend, "ich bezweifle, dass ich die Finger davon lassen kann." Andererseits, so sagte ein Freund zu ihm, sei das ja alles nur noch durch einen anderen Fund für ihn zu überbieten: "Wenn du die Leiche Hitlers findest." Oben in seinem Zimmer, sagt Hammerschmidt, habe er noch viele Akten, die für drei Dissertationen reichten. Der BND sollte sich warm anziehen.

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