Premier bei Merkel: Erdogan für Türkenunis in Deutschland

Der türkische Premier Erdogan hat in Berlin mehr türkische Bildungseinrichtungen in Deutschland gefordert - und avanciert zu Deutschlands Integrationsminister.

Ungewöhnliche Vorschläge vom türkischen Amtskollegen: Erdogan und Kanzlerin Merkel Bild: rtr

Für Angela Merkel ist Integration Chefsache. Zum Auftakt einer Debatte mit überwiegend türkischstämmigen Schülern am Freitag im Kanzleramt gedenkt sie, gemeinsam mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, in einer Schweigeminute zunächst der Opfer von Ludwigshafen. Dann kommt sie auf die Integration zu sprechen: "Es ist unser gemeinsames Land, an dem wir bauen", sagt sie. Wenn es etwas gebe, was den Schülern Sorge mache, "dann ist das auch meine Sorge". Dann fragt sie ihre Gäste: "Wo hapert es noch?"

Die Schüler, die sich melden, sind höflich: Keiner fragt, warum Merkel den Wahlkampf von Roland Koch unterstützt hat. Dafür reden sie offen über ihre Probleme. Ein Abiturient namens Tolgay bekennt, er mache sich Sorgen, ob er nach dem Abitur einen Job bekommen werde, weil es so viele Klischees über Südländer und ihre Arbeitsmoral gebe. Ein Mädchen mit Kopftuch klagt, die Türken in Deutschland würden "sehr oft abgestempelt als Dorfmenschen, als ungebildet". Merkel bestreitet nicht die Vorurteile gegen Türken. Ihr Rezept: "Selbstbewusstsein. Einfach an euch glauben - das wäre mein Rat."

Erdogan wird konkreter. "Ich nehme die Integration sehr ernst", erklärt auch er, doch er setzt einen anderen Akzent: "Um gut Deutsch lernen zu können, müssen Migranten ihre eigene Sprache gut beherrschen." Deshalb fordert er mehr türkische Bildungseinrichtungen in Deutschland. Er regt Gymnasien an, die auf Türkisch unterrichten, und türkischsprachige Universitäten. Außerdem bietet er an, Lehrer und Pädagogen aus der Türkei an deutsche Schulen zu schicken. Ist Erdogan Deutschlands neuer Integrationsminister? Angela Merkel jedenfalls hörte sich seine Vorschläge an, ohne eine Miene zu verziehen.

Dafür reiben sich in Köln derzeit viele irritiert die Augen. Dort ist am Sonntag eine Großveranstaltung geplant, zu der 20.000 Gäste erwartet werden. Ganz Köln ist mit Plakaten zugeklebt, auf denen der türkische Ministerpräsident zu sehen ist, hinter ihm eine riesige schwarz-rot-goldene Flagge. "Der türkische Ministerpräsident kommt nach Deutschland", steht in Türkisch darauf. Viele Kölner ärgert, dass sie die Plakate nicht lesen können. Und der CSU-Politiker Hartmut Koschyk kritisiert, dass Erdogan seine Rede nur auf Türkisch halten wird.

Seine Neugier ist verständlich. Denn was Erdogan sagt, hat in Deutschland Gewicht. Seit seiner versöhnlichen Rede vor der Brandruine in Ludwigshafen, wo er die Arbeit der deutschen Polizei und Feuerwehr lobte, haben die türkischen Zeitungen ihren Ton deutlich gemäßigt. Im Massenblatt Hürriyet und in der Bild-Zeitung erschien am Freitag sogar ein gemeinsamer Appell von Kai Diekmann und Ertugul Özkök, den Chefredakteuren der Blätter, in dem sie die beidseitige Anteilnahme betonten.

Erdogans Autorität unter den Türken in Deutschland kommt nicht von ungefähr. Wohl kein türkischer Regierungschef hat so viel für sie getan wie er. Seine Regierung hat erstmals ein Ministerium für die Türken im Ausland eingerichtet und damit einer alten Forderung der Türken in Deutschland entsprochen, die das schon nach den Anschlägen von Mölln und Solingen verlangt hatten. Es war der Staatsminister für die Auslandstürken, Mustafa Said Yazicioglu, der am Mittwoch als Erster, noch vor Erdogan zum Brandort reiste, um seine Solidarität zu bekunden - gemeinsam mit Maria Böhmer übrigens, der deutschen Staatsministerin für Integration. Auch wenn dieser Staatsminister für Auslandstürken bislang nicht viel mehr als solche Symbolik bieten kann, für die Türkei ist das doch ein Novum. Es zeigt, dass der türkische Staat für die Türken in Europa eine aktivere Rolle spielen will.

Schon immer hat sich die Türkei als Schutzmacht für die rund 2,5 Millionen türkischstämmiger Menschen verstanden, die in Deutschland leben. Meist betrachtete man diese aber eher als eine Art Fünfte Kolonne, für eigene Interessen einsetzbar; ansonsten strafte man sie mit Ignoranz. Jetzt aber kommt die türkische Regierung all jenen Türken in Deutschland entgegen, die sich noch immer vor allem als Bürger ihres Heimatlands verstehen. Sie bereitet ein Gesetz vor, das es ihnen ermöglichen soll, künftig auch im Ausland an den Wahlen in ihrer Heimat teilzunehmen.

Doch nicht allen Deutschtürken gefällt Erdogans Politik. Lale Akgün, die Islambeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, wirft ihm vor, den Brand von Ludwigshafen zur "innenpolitischen Profilierung" zu nutzen. Auch die Alevitische Gemeinde in Deutschland hat Erdogan kritisiert. Generalsekretär Ali Ertan Toprak kritisierte die türkische Regierung: Indem sie Ermittler nach Ludwigshafen geschickt habe, habe sie das Misstrauen der Deutschtürken geschürt. "Das schadet der Integration."

Natürlich ist Erdogans Politik nicht uneigennützig: Er hofft, von der Unterstützung der Diaspora zu profitieren. Gleichzeitig aber ermuntert er die türkischstämmigen Einwanderer, sich in Deutschland aktiv zu integrieren und Deutsch zu lernen. Als Repräsentant einer konservativ-islamischen Partei spricht Erdogan die Deutschtürken als Muslime an: Sie könnten in Europa heimisch werden, ohne ihre "muslimische Identität" aufzugeben. So lautet auch gegenüber den Jugendlichen im Kanzleramt sein Credo: "Ja zur Integration. Aber Nein zur Assimilation." Man müsse die Menschen "mit ihren eigenen Werten anerkennen". Mitarbeit: Lukas Walraff

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