Soldaten sprechen über Afghanistan: Erinnerungen an einen Einsatz

Das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan dauert noch Jahre. Wie erleben die Soldaten ihre Arbeit dort? Ausgerechnet im Kosovo sprechen Afghanistanheimkehrer über ihre Erfahrungen.

"Man lebt intensiver" – deutsche Soldaten über ihre Zeit in Afghanistan. Bild: ap

Dass Björn S. Soldat würde, stand immer schon fest. "Das war eigentlich nie eine Frage. Bei mir in der Familie gehört sich das so", sagt er, während er in der Betreuungseinrichtung der Bundeswehr im Feldlager in Prizren sitzt. "Mein Vater hat gedient, und mein Großvater hat gedient." Er zieht ein Foto aus der rechten Hosentasche seiner Uniform. "Das ist mein Großvater."

Ein junger Mann ist darauf zu sehen. Er mag zum Zeitpunkt der Aufnahme etwas jünger sein, als es Björn S. mit seinen 32 Jahren heute ist. Die Gesichtszüge ähneln sich, die Augen, das Kinn. Kurzer Haarschnitt und ein Scheitel auf der rechten Seite. Ob der Großvater ebenso blond war und ebenso klare blaue Augen hatte, ist auf dem bräunlichen, sorgfältig laminierten Bild nur zu erahnen.

Björn S. hat sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, seine Antworten sind knapp und klar. "Richtig traurig" war er, dass er zu jung war, um mit in den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr 1995 nach Bosnien zu gehen. Der Afghanistaneinsatz habe ein Höchstmaß an Anstrengung erfordert, wegen der "asymmetrischen Gefahr", die überall lauert, behauptet er. "Angst ist das falsche Wort. Es ist ein Gefahrenbewusstsein." Gerade als Patrouillenführer dürfe man Angst nicht zulassen, sonst träfe man falsche Entscheidungen.

Einsatz:

Die deutsche Afghanistantruppe steht unter dem Mandat der International Security Assistance Force (Isaf), die auf Basis mehrerer Resolutionen des UN-Sicherheitsrates unter dem Oberkommando der Nato geführt wird. Der deutsche Afghanistaneinsatz wurde erstmals im November 2001 beschlossen. Im Oktober 2008 wurde er zuletzt verlängert - bis zum 13. Dezember 2009. Am Anti-Terror-Kampf im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) beteiligt sich die Bundeswehr in Afghanistan nicht mehr.

Soldaten:

Momentan sind rund 4200 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan im Einsatz. Die Obergrenze liegt bei 4.500. Der Einsatz dauert zwischen vier und sechs Monaten. In Afghanistan erhalten die Soldatinnen und Soldaten eine Gefahrenzulage von 110 Euro pro Tag. Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr sind insgesamt 81 deutsche Soldaten gefallen, davon 35 in Afghanistan.

Wahlen:

Nach den Präsidentschaftswahlen am 20. August ist weiter unklar, wer das Land in Zukunft regieren wird. Amtsinhaber Hamid Karsai und sein schärfster Herausforderer Abdullah Abdullah liefern sich nach den bisherigen Teilergebnissen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ein vorläufiges Endergebnis soll morgen veröffentlicht werden. Sollte sich der Trend bestätigen, kommt es Mitte Oktober zu einer Stichwahl. Derweil mehren sich Wahlbetrugs-Vorwürfe.

Gefahren:

Die SoldatInnen erhalten eine Zulage von 110 Euro pro Tag. 35 Bundeswehrangehörige sind bislang in Afghanistan gefallen. Die Zahl derer, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, stieg laut Bundesregierung auf 245 im Jahr 2008. Experten schätzen den Anteil der Traumatisierten auf bis zu 20 Prozent der Rückkehrer.

Wichtig ist ihm, dass er sich im Einsatz nicht um Haus und Hof sorgen muss. "Meine Frau hat alles im Griff. Da wird nichts an mich herangetragen". Obwohl die Kinder mit fünf und sieben Jahren noch sehr jung sind, würden sie alles mitbekommen. "Man kann denen nichts vormachen. Man kann sie nur so gut es geht darauf vorbereiten". Die Bundeswehr stelle dafür Material zur Verfügung, wie das Buch "Mein Papa ist Soldat", in dem es um einen kleinen Jungen geht, dessen Vater nach Afghanistan kommandiert wird. Darin stehen über den fernen Vater Sätze wie: "Er braucht jetzt einen fleißigen Schutzengel, zu dem wir vor dem Einsatz beten sollen."

Auch Oberleutnant Robert M. war in Afghanistan. Der Zugführer wirkt ernst, gefestigt. Vielleicht hat man ihn deshalb damals als Zugführer in den Einsatz geschickt, als einzigen seiner Kameraden, die wie er gerade ihr Examen gemacht hatten. "Das war eine Menge Verantwortung, frisch vom Studium und gleich 23 Soldaten unter sich. Das war das Schwierigste, wie man mit dieser Verantwortung klarkommt."

Robert M. spricht ruhig und bedacht, jedes Wort ist wohl gewählt, jeder Satz wohl überlegt. So stramm er gerade salutierte, so freundlich und offen ist sein Gesicht nun, da er unter der kosovarischen Sonne am lagereigenen Biertisch sitzt.

In seinen dunkelbraunen Augen sieht man die Angst, wenn er sich der Gefahrensituationen erinnert, ein wenig Humor, wenn er gesteht, wie er ein paar Kinder beeindrucken wollte, über eine Eisplatte schlitterte und dabei ausrutschte. Als Robert M. nach Kundus befohlen wird, verspricht er seinen Kameraden, dafür zu sorgen, dass sie heil zurückkehren. Und doch hat er selbst sein Testament geschrieben, bevor er ging, und festgelegt, wie er im Falle des Falles beerdigt werden möchte.

Als seine Patrouille in Afghanistan in Gefahr gerät, ist er selbst erstaunt, wie automatisch er Kommandos geben kann. Wie ihn nicht die Panik, sondern der Automatismus im Griff hat. Nach zwei bis drei Monaten stellt sich langsam eine Routine ein. Robert M. beginnt, die Gedanken schweifen zu lassen, die beeindruckende Natur Afghanistans wirklich wahrzunehmen.

Gleichzeitig tritt zu seiner erhöhten Aufmerksamkeit die Angst hinzu: "Auf einmal war alles eine Gefahr für mich. Zweimal habe ich IEDs, also Sprengfallen, angekündigt, wo überhaupt keine waren". Seine Truppe jedoch bestärkt ihn, lieber einmal mehr vorsichtig zu sein als einmal zu wenig.

Als gläubiger Christ stellt er sich immer wieder die Frage: "Bist du bereit, jetzt einem Menschen das Leben zu nehmen?" Bis heute hat er seinen Eltern und seiner Partnerin nicht alles erzählt, was er in Afghanistan erlebt hat. Während des Einsatzes will er sie nicht noch mehr beunruhigen. Danach fällt es schwer, darüber zu sprechen. Er bittet Familie und Freunde, ihm etwas Zeit zu lassen. Als ihm eine Psychotherapiestudentin "auf den Pelz rückt", reagiert er ungewohnt aggressiv.

Robert M. ertappt sich dabei, mehr Alkohol zu trinken, als es sonst seine Art ist. Es fällt ihm schwer, sich daran zu gewöhnen, dass in Deutschland das größte Problem ein verlorenes Fußballspiel sein kann. "Das ist, als ob sich ein Koordinatensystem verschoben hätte. Man macht zwar die gleiche Erfahrung, aber alles hat irgendwie eine andere Wertigkeit." Es dauert etwa drei Monate, bis er anfängt, von seinen Erlebnissen in Afghanistan zu erzählen.

Nachts in der Kneipe Notnagel des Feldlagers im Kosovo erzählen Christian B. und Ralf P. von Afghanistan. "Das Schlimme ist nicht das Schießen", beginnt Ralf P. und zündet sich die erste Zigarette an. "Das Schlimme sind auch nicht die Leichen." Viel mehr mitgenommen habe ihn die Begegnung mit einem kleinen Mädchen, dem er entgegen der Vorschrift Wasser gab. "Diese Augen", sagt der 30-Jährige, der selbst eine kleine Tochter hat, "das werde ich nie vergessen. Ich habe mich umgedreht und einfach nur geheult."

Da sitzt der große, breitschultrige Mann, ringt immer wieder um Worte, wiederholt immer wieder einen Satz oder Halbsatz, als würde er der eigenen Erinnerung nicht trauen, dann wieder bricht ein ganzer Schwall Erinnerungen auf einmal durch. Die Kinder mit Dreck und Fliegen im Gesicht. Frauen, die vor nahende Militärfahrzeuge geworfen werden. Diese Frau, die man mit Säure überschüttet hat, weil sie ein Mädchen geboren hat. Steinigungen.

"Ich persönlich bin sehr abgestumpft", sagt Ralf P.s jüngerer Kollege, Christian B., der ebenfalls in Kundus stationiert war: "Man hat plötzlich nicht mehr dieses Mitgefühl. Man macht makabere Witze. Man versucht, auf die eigene Gesundheit zu achten. Irgendwann, bevor ich zur Bundeswehr gegangen bin, habe ich mich gefragt, ob ich bereit bin, auf Menschen zu schießen. Es war erschreckend, plötzlich zu sehen: Ja, ich kann." Ralf P. fügt hinzu: "Du schießt nicht auf den Menschen. Du schießt auf das Objekt, wie auf eine Pappfigur. Es gibt Dinge, die tust du einfach so. Und du fängst erst viel später an, darüber nachzudenken, was eigentlich passiert ist." Für ihn wird vieles erst bewusst, wenn er davon erzählt. So rief er Tage, nachdem er Leichen im UN-Gebäude eingesammelt hatte, seine Frau an: "Und dann kommen auf einmal die Tränen und das Zittern."

Die Konfrontation mit dem "normalen" Leben in Deutschland erleben die beiden ähnlich schwierig wie Oberleutnant Robert M. "Die Leute verstehen nicht, was man ihnen erzählt", sagt Ralf P., "und bis jetzt hat mich niemand gefragt, wie es einem eigentlich geht, wenn man so etwas erlebt hat. Wie man damit fertig wird."

Christian B. erinnert sich an die erste Zeit nach der Rückkehr aus Afghanistan: "Man sieht plötzlich hinter jedem Stein was liegen, und diesen Blick behält man zu Hause bei." Man wache morgens auf und suche instinktiv nach der Waffe, man bekomme im Straßenverkehr plötzlich Panik, wenn man überholt wird, man fühle sich bedroht, obwohl es dafür gar keinen Grund mehr gibt.

Es fällt schwer, die Alltagssorgen der Daheimgebliebenen nachzuvollziehen, wenn man selbst immer wieder aus der heilen Realität gerissen wird: Der Geruch von süßem, fauligem Obst und man sieht plötzlich wieder die Leichen, man schreckt nachts aus einem Albtraum hoch, kann die Kinder nicht spielen sehen, ohne dabei an die Lage der Kinder in Afghanistan zu denken.

Immer wieder scheint das geordnete, sichere Leben in Deutschland einfach sinnlos. Christian B.s Verpflichtung neigt sich dem Ende zu. Auch wenn er seine Zeit bei der Bundeswehr nicht bereut, freut er sich auf die Rückkehr in die Welt der "Zivilisten".

Ralf P. hingegen hat sich von seiner Frau scheiden lassen, ein ziviles Leben kann er sich gar nicht mehr vorstellen. Und dennoch sagt er: "Ich möchte diese Zeit in Afghanistan nicht missen. Und komischerweise würde ich jederzeit wieder gehen." Warum? Ralf P. unternimmt einen dritten Versuch, es zu erklären. Es sei sein Beruf, seine Pflicht. Man tue etwas Sinnvolles, aber mehr sinnvoll für die Politik als für einen selbst. Lebt man anders, intensiver im Einsatz? Ralf P. drückt die letzte Zigarette im randvollen Aschenbecher aus. "Ja, vielleicht könnte man es so sagen: Man lebt intensiver."

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