Runder Tisch über Missbrauch: "Es gibt große Schweigekartelle"

Es muss mehr Beratungsstellen geben, sagt Christine Bergmann, die neue Beauftragte gegen sexuellen Missbrauch. Denn vielen haben erst jetzt den Mut sich jemandem anzuvertrauen.

"Die Opfer brauchen Anerkennung für das erlittene Unrecht." Bild: ap

taz: Frau Bergmann, als Berliner Frauensenatorin und Bundesfamilienministerin haben Sie sich gegen Gewalt an Frauen engagiert. Mit dem Kampf gegen sexuellen Missbrauch werden Sie nicht in Verbindung gebracht.

Christine Bergmann: Der Kinderschutz spielte schon immer eine große Rolle für mich. 2000 in meiner Zeit als Familienministerin wurde das Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Darüber hinaus haben wir Kampagnen ins Leben gerufen sowie Projekte und Maßnahmen zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung unterstützt.

Sexueller Missbrauch findet vor allem in der Familie statt.

Richtig. Deshalb ist es ja so wichtig, dass es jetzt diese Anlaufstelle gibt für Betroffene, Angehörige und Personen aus dem Umfeld, die einen Verdacht haben. Gerade in der Familie herrschen große Schweigekartelle.

Sie sollen "materielle und immaterielle Hilfen" für Missbrauchsopfer erarbeiten und Ansprechpartnerin für Betroffene sein, sie aber nicht persönlich beraten. Wie sieht das aus?

Die meisten, die sich bislang an uns gewendet haben, wollen darüber sprechen, was ihnen widerfahren ist. Viele haben zum ersten Mal den Mut, sich anzuvertrauen. Es ist wichtig, dass ihnen jemand zuhört.

Wie wenden sich die Opfer an Sie?

Telefonisch, per Mail und per Fax. In Kürze wird eine telefonische Hotline geschaltet. Dort werden PsychologInnen, TherapeutInnen, SozialpädagogInnen für die Betroffenen zur Verfügung stehen. Je nach Fall können die Opfer auch an Beratungsstellen verwiesen werden.

Was brauchen die Opfer am dringendsten?

Anerkennung für das erlittene Unrecht. Und sie wollen, dass die Täter benannt und zur Verantwortung gezogen werden.

Opferberatungsstellen weisen seit Jahren auf das Ausmaß des Missbrauchs hin. Offensichtlich brauchte es aber einen Skandal wie in der katholischen Kirche, damit das Thema breite Aufmerksamkeit erfährt.

Das Thema muss ja erst einmal aus der Tabuecke geholt werden, dazu braucht man einen langen Atem. Ohne den Ergebnissen unserer Arbeit vorgreifen zu wollen, wird eine meiner Empfehlungen an den Runden Tisch vermutlich sein, das Beratungsnetz auszubauen. In der Vergangenheit kämpften die Beratungsstellen permanent ums Überleben.

Sollten die Verjährungsfristen verlängert werden?

Auf die juristischen Fragen muss der Runde Tisch eine Antwort finden. Wir können nur Empfehlungen aussprechen.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat angeregt, die ärztliche Schweigepflicht aufzuheben. Wie sehen Sie das?

Alles, was Kinder vor sexuellem Missbrauch schützt, wird jetzt diskutiert. Wir werden nichts über die Köpfe der Betroffenen hinweg empfehlen.

Welche Erwartungen haben Sie?

Er ist eine Chance, das Thema aufzuarbeiten und zu einem Konsens zu kommen, wie das Recht der Kinder auf Schutz vor sexueller Gewalt in der Gesellschaft verankert werden kann.

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