Rechtsexperte zur Sicherungsverwahrung: "Es wird immer Rückfälle geben"

Die Hoffnung auf Resozialisierung wird immer wieder enttäuscht werden, sagt Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag - und will sicherungsverwahrte Sexualstraftäter trotzdem frei lassen.

"Prognosen haben immer einen Rest an Unsicherheit." Bild: dapd

taz: Herr Montag, im Dezember verlangten Sie im Bundestag, als einzig logische Folgerung aus dem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs die betroffenen Sicherungsverwahrten freizulassen. Nun haben einige der Freigelassenen Kinder sexuell missbraucht. Haben die Kritiker der Sicherungsverwahrung es sich zu einfach gemacht?

Jerzy Montag: Ich glaube nicht. Es sind die aktuell bekannt gewordenen Fälle sicherlich schreckliche Rückfälle und für die Opfer eine Katastrophe. Aber Rückfälle hat es - leider - immer schon gegeben. Es wird keine Gesellschaft und kein Rechtssystem geben, in denen Rückfälle ausgeschlossen sind. Die Hoffnung darauf, dass Resozialisierung gelingt, wird immer wieder auch enttäuscht werden.

Ist es nicht leichtfertig, so zu tun, als wollte die Union immer nur Unschuldige wegsperren und Ängste schüren? Haben Grüne und Linke da ein Süppchen auf Kosten von Gefangenen und Kindern gekocht?

Das bestreite ich vehement. Ich kennen niemanden, der mit der Frage je leichtfertig umgegangen ist. Das größte Problem in der Sache ist: Wir wissen niemals, ob wir die Ungefährlichen rauslassen und die Gefährlichen drinlassen - oder umgekehrt. Prognosen haben immer einen Rest an Unsicherheit.

JERZY MONTAG, 64, ist rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Der gelernte Strafanwalt lebt seit lange in München.

Die Argumente, dass das Strafvollzugs- und Maßregelsystem illiberal sei und dass die Rückfallgefahr von älteren Männern minimal sei - helfen sie den nun missbrauchten Kindern?

Nein, und doch ist es falsch, das gegeneinanderzustellen. Wir hatten in Deutschland Jahrzehnte, von den 1970ern bis 1998, eine Sicherungsverwahrung, die nach zehn Jahren endete - ein damals weithin akzeptiertes System. Erst die Entfristung durch die damalige Kohl-Regierung hat uns die schwierigen Entscheidungen aufgebürdet, vor denen wir seither stehen. Dringend brauchen wir nun eine Sicherungsverwahrung, die etwas Besseres ist als die Haft.

Wie sehen grüne Konzepte für den humaneren Vollzug aus?

Die Sicherungsverwahrung muss sich in vielen Einzelheiten von der Haft unterscheiden: Dazu gehören etwa die Möglichkeit, sein Essen selbst zu kochen, die Wahl zwischen Spaziergang im Hof und Aufenthalt im eigenen Raum. Natürlich gehört eine Therapie dazu, die auf ein Leben in Freiheit vorbereitet. Das ist ein Vollzug, der Geld kostet und personalintensiver werden wird. Doch auch dann wird es Rückfälle geben.

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