Baden-Württemberg: Fachkräfte händeringend gesucht

Manager fahnden nach Personal, das Arbeitsamt sucht Fachkräfte in Frankreich: In Baden-Württemberg sind so wenige Menschen ohne Job wie seit fünfzehn Jahren nicht mehr.

Anfang Oktober nahm die Kindertagesstätte Habakuk in Friedrichshafen 20 neue Mädchen und Jungen auf. Sie alle haben eines gemeinsam: Ihre Eltern arbeiten bei der Firma ZF, einem großen Zulieferer der Autoindustrie, oder bei der MTU, die Triebwerke für Flugzeuge herstellt. Eigentlich ist Habakuk eine Kita, die von der evangelischen Kirche betrieben wird. Doch nun haben sich die Unternehmen eingekauft. 20 neue Plätze, auch für Kinder unter einem Jahr, Betreuung bis zu zehn Stunden. Mit Wohltätigkeit hat die Investition nicht zu tun. ZF-Personalchef Klaus Kolley sagt: "Wir kämpfen um qualifizierte Arbeitskräfte."

Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung in Baden-Württemberg. Als am Dienstag die neuen Arbeitslosenquoten herauskamen, konnte die Regionaldirektion der Arbeitsagentur in Stuttgart den besten Wert verkünden: 4,4 Prozent. Nordrhein-Westfalen hat eine doppelt so hohe Quote, für ganz Ostdeutschland liegt sie bei 13,9 Prozent. "Wir haben unglaublich wenig", sagt Achim Winkel, Sprecher der Stuttgarter Regionaldirektion der Arbeitsagentur: "Die niedrigste Quote seit 15 Jahren." Nirgendwo sonst suchen die Unternehmen so händeringend nach Fachkräften - und versuchen mit Mitteln wie Kinderbetreuung ihr Personalproblem zu lindern.

In Friedrichshafen am Bodensee ist für ZF mit seinen 7.000 Beschäftigten das Potenzial unter den Arbeitslosen ausgereizt. Menschen, die auf eine Jobbeschreibung des Unternehmens passen, haben Klaus Kolley und seine Kollegen längst angeheuert. Oder die Konkurrenz. Deshalb setzt der Personalchef darauf, Mütter nach der Geburt ihres Kindes möglichst bald wieder in die Firma zu holen. "Wenn sie drei Jahre rausgehen, sind sie weg vom Fenster, dann müssen wir sie neu qualifizieren." Deshalb bietet er die Kitaplätze auch für unter Dreijährige. "Das Argument von Eltern: 'Wir können nicht arbeiten, obwohl wir wollen', greift nicht mehr."

An Hochschulen streitet sich Kolley mit anderen Managern um Absolventen, veranstaltet Diplomandentage, versucht das Handicap auszugleichen, dass ZF nicht so bekannt ist wie Porsche oder Bosch.

In einer Umfrage der Industrie- und Handelskammern im Land meldete fast die Hälfte aller Unternehmen offene Stellen, Tendenz steigend. "Keine Branche ist von diesem negativen Trend ausgenommen", heißt es. Am knappsten sind Ingenieure, gefolgt von Menschen mit kaufmännischer Ausbildung. Die meisten Firmen wollen sich mit Aus- und Weiterbildung behelfen oder ältere Arbeitskräfte einstellen. Andere, vor allem größere, setzen auf betriebliche Kinderbetreuung oder machen beim Bürgermeister Druck, Krippenplätze zu schaffen. Die Gewerkschaften fürchten, dass die Bosse wegen ihrer Personalnot das vorhandene Personal zu Mehrarbeit und Überstunden drängen: "Der Druck auf die Beschäftigten steigt", sagt ein DGB-Sprecher.

Die Arbeitsagenturen im Südwesten mühen sich, den Firmen passende Arbeitskräfte zu besorgen. Sie suchen in ganz Deutschland und sogar in Frankreich. Die verbleibenden Arbeitslosen in Baden-Württemberg haben selten das gelernt, was die Betriebe wollen. "Sie können einen Straßenkehrer nicht bei Daimler an die Maschine stellen", sagt ein Arbeitsagentur-Mitarbeiter.

Und die verbleibenden Arbeitslosen? Fast 60 Prozent sind Hartz-IV-Empfänger - der Anteil hat sich erhöht. Sie haben es schwer, einen Job zu finden. Das Potenzial für Kellner- oder Putzjobs ist begrenzt, in der Landwirtschaft ist der Bedarf niedriger als etwa in Bayern. So waren im Oktober selbst in Baden-Württemberg Tausende arbeitslos. Genauer: 244.428 Menschen.

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