Hospiz-Beraterin über Patientenverfügung: "Fürsorge durch Aufklärung"

Im neuen Gesetz fehlt eine Beratungspflicht, so Hospiz-Mitarbeiterin Silke Rau: Viele Verfügungen sind zu schwammig und werden dann nicht angewandt.

Eine qualifizierte Verfügung entlastet auch die Angehörigen, meint Rau. Bild: ap

taz: Frau Rau, ich möchte ausschließen, dass ich später mal im Altenheim jahrelang bewusstlos daliege. Hilft mir das neue Gesetz zur Patientenverfügung nun weiter?

Silke Rau: Ja. Wenn Sie das in eine gute Verfügung schreiben, dann müssen sich die Ärzte jetzt daran halten. Es gibt ein großes Aber: Die Verfügung muss sich auf eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff beziehen und auf die konkrete Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, sie muss also praxistauglich sein.

Wie sieht eine praxistaugliche Verfügung aus?

Eine gute Patientenverfügung erfasst die verschiedenen Situationen genau. Dafür brauchen Sie in der Regel eine Beratung. Ankreuzformulare werden den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht. Die Situationen sind zu komplex dafür. Wir werden manchmal zu Fällen befragt, da hat der Patient geschrieben "Wenn mein Leben nicht mehr lebenswert ist, will ich nicht an Schläuchen hängen." Was ist lebenswert? Was sind Schläuche? Da ist weder die Situation eindeutig noch die Handlungsanweisung. Oft wird auch schlicht vergessen, das Papier zu datieren und zu unterschreiben. Dann gilt es aber nicht.

Was war das größte Problem in solchen Situationen?

Die Verfügung wird dann nicht umgesetzt. Das Schlimmste ist, wenn die Angehörigen dann wenig Kontakt zum Patienten hatten und einfach nicht wissen, was er wollen würde. Etwa wenn bei einer schweren Demenz die künstliche Ernährung ansteht. Sie kommen in schwerste Gewissenskonflikte: Können wir verantworten, dass dieser Mensch stirbt? Ihnen bleibt dann letztlich keine Wahl, als allen lebenserhaltenden Maßnahmen zuzustimmen.

Was vielleicht nicht im Sinne des Patienten ist …

Weil die Angehörigen dann so verzweifelt vor uns sitzen, appellieren wir so dringend an alle, eine qualifizierte Verfügung zu verfassen. Sie entlasten damit ihre Angehörigen von einer unglaublich großen Verantwortung. Deshalb sind wir unglücklich mit dem Gesetz: Eine gute Beratung ist unabdingbar. Die hätte die Krankenkasse bezahlen müssen.

Die Beratung hatte der Entwurf des CDU-Abgeordneten Bosbach vorgesehen. Sie wurde als unnötiger Zwang abgelehnt.

Das war ein Fehler. Beratung schafft Autonomie. Und schließlich geht es um das eigene Leben. Unklare Dokumente verschaffen eine Scheinsicherheit, die es eigentlich nicht gibt.

Was muss ich denn schreiben, wenn "nicht mehr lebenswert" oder "unerträglich" nicht ausreicht?

Sie brauchen nicht 10.000 Krankheiten aufzuschreiben. Aber es gibt ein paar typische Zustände, zu denen viele Krankheiten oder auch Unfälle führen können. Ein Multiorganversagen oder eine schwerste irreversible Gehirnschädigung zum Beispiel. Dazu müssen Sie aber wissen, was das genau ist. Viele Menschen in unserer Beratung ändern zum Beispiel ihre Ansicht zum Wachkoma, nachdem wir ihnen erklärt haben, was das ist.

Der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe wollte lieber kein Gesetz. Der Patient könne selbst nicht voraussehen, was er als Bewusstloser wollen würde. Lieber solle man sich dann der Fürsorge der Angehörigen und Ärzte anvertrauen. Ist da was dran?

Wir sind eher dafür, dass die Fürsorge stattfindet, indem der Patient so gut wie möglich über die Situationen aufgeklärt wird, in die er kommen kann. Nur dann kann er die Selbstbestimmung auch ausüben.

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