Angst vor demografischem Wandel: Privatversicherer fühlen sich krank

Private Krankenversicherer erwägen das Undenkbare - ihre eigene Abschaffung. Ganz uneigennützig wäre das nicht. Andere erhoffen sich mehr Wettbewerb und sinkende Beiträge.

Wo tuts denn weh, liebe Privatkrankenkassen? Bild: dpa

BERLIN taz Es sind nur zehn Seiten Papier, aber sie könnten Folgen haben für fast alle Menschen in Deutschland. In einem internen Strategiepapier des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungsindustrie (GDV) erwägt eine prominent besetzte Arbeitsgruppe, die privaten Krankenversicherungen praktisch aufzulösen. Gesetzliche und private Anbieter sollten letztlich gleichgestellt werden. Noch vor der internen Veröffentlichung schlugen einzelne Privatversicherer Alarm, die zehn strittigen Seiten wurden entfernt. Doch es war zu spät. Die Debatte über die Zukunft der Krankenversicherungen hat begonnen.

Unter dem Titel "Soziale Sicherung 2020: Angebote der deutschen Versicherungswirtschaft" schlagen die Chefs der drei großen Privatversicherer Allianz, Axa und Ergo bislang Verpöntes vor: Gesetzliche und private Kassen sollten eine einheitliche, für alle verpflichtende Grundsicherung anbieten. Zu denselben Konditionen, unabhängig von Alter und Geschlecht und ohne die Möglichkeit, sich ihre Beitragszahler auszusuchen. Das wäre nichts weniger als das Ende der privaten Krankenversicherungen (PKV).

Ganz uneigennützig ist dieser Vorschlag nicht. Die Privatversicherer fürchten die Folgen des demografischen Wandels. Ihre 8,6 Millionen Beitragszahler sind zwar im Durchschnitt gesünder und wohlhabender als die 70,3 Millionen gesetzlich Versicherten. Aber auch sie werden immer älter, ihre Behandlung teurer, und obendrein bleibt der Nachwuchs aus. Die Zahl der Neuzugänge zur PKV halbierte sich im Jahr 2007 wegen der Gesundheitsreform auf nahezu 60.000. Das Geschäft mit Krankenvollversicherungen droht keine Rendite mehr abzuwerfen. Die Marktführer erwägen, stärker auf private Zusatzverträge zu setzen.

Zwar beteuert der Verband der Privaten Krankenversicherungen prompt, keines seiner Mitgliedsunternehmen dringe "auf einen Radikalumbau des Gesundheitswesens oder will gar die private Krankenversicherung in dieser Form abschaffen". Zugleich aber bestätigt der Verband indirekt die Existenz des "internen und nicht offiziellen" Arbeitspapiers.

Der Reformplan überrascht nicht nur Versicherungsexperten. Immerhin hat die Branche noch im März vor dem Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht mit dem Ziel, das System der privaten Vollversicherung zu bewahren. Je nach Couleur reagieren die Parteien auf den Vorschlag, der sowohl Elemente der Bürgerversicherung von SPD und Grünen enthält wie der Kopfpauschale der Union. "Endlich haben auch die privaten Versicherungsunternehmen erkannt, dass ein geteilter Versicherungsmarkt langfristig keinen Sinn hat", kommentierte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender. Die Teilung des Markts behindere den Wettbewerb zwischen den Versicherern.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach glaubt, das Ende der Zweiteilung könne die Beitragszahler entlasten. "Wenn die Privatversicherten einkommensabhängig in die Kassen einzahlen würden, könnte der Beitragssatz zur Krankenversicherung um mindestens einen Prozentpunkt sinken", also von derzeit durchschnittlich etwa 15 auf 14 Prozent. Zugleich böte sich die Möglichkeit, das Krankenversicherungssystem weit stärker aus Steuern zu finanzieren, urteilt Lauterbach: "Mit mehr Steuergeldern ließe sich der Beitragssatz langfristig zwischen 12 und 14 Prozent stabilisieren, ohne dass Leistungen gekürzt werden müssten." Im Jahr 2030 beispielsweise seien dafür 25 Milliarden Euro nötig.

Der Gesundheitsexperte Frank Spieth von der Linke-Fraktion forderte die Einführung einer Bürgerversicherung, die "in der Tradition der Gesetzlichen Krankenversicherung steht". Der Hinweis kommt gerade rechtzeitig. Die Gesetzliche Krankenversicherung wird am Sonntag 125 Jahre alt. MATTHIAS LOHRE

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