Linke-Politiker kritisiert Partei: "Lafontaine steht Wasser bis zum Hals"

Oskar Lafontaine hat die Partei in eine "fundamentaloppositionelle Nische" geführt, kritisiert der Berliner Linke Carl Wechselberg. Und kritisiert die Haltung der Linken zu Nato und Hartz IV.

Hat laut Wechselberg Erfolg zu einem hohen Preis: Linke-Parteichef Oskar Lafontaine. Bild: ap

Carl Wechselberg, 39, hat 1991 in Bremen die LinkeListe/PDS mit gegründet und sitzt seit 2003 für die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus. Gerade hat er auf Spiegel Online mit Parteichef Oskar Lafontaine abgerechnet.

taz: Herr Wechselberg, haben Sie Panik wegen der fallenden Umfragewerte - oder warum greifen Sie zu Beginn des Wahlkampfs die eigenen Leute an?

Carl Wechselberg: Ich bin überhaupt nicht in Panik. Meine Kritik an der Linkspartei hat sich über Monate hinweg entwickelt, in denen ich etwa in der Haushalts- und Finanzpolitik eine sehr intensive Auseinandersetzung mit meinen Leuten hatte. Worum es mir geht, ist, dass die Partei unter Oskar Lafontaine in die Nische der Fundamentalopposition gesteuert wird.

Wie wirkt sich das etwa auf das Programm aus?

Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch und die anderen Zuständigen mussten das Programm verbalradikalisieren. Über lange Seiten wird jetzt der Kapitalismus gegeißelt. Das kann man ja tun. Die Frage ist nur, welche Qualität die Antworten haben.

Kritisieren Sie jetzt die Analyse oder die Antworten?

Beides. Ein Bundestagswahlprogramm ist auf vier Jahre angelegt. Ich frage mich schon, ob wir denn in vier Jahren zum demokratischen Sozialismus gelangen. Einerseits bleiben wir jetzt völlig im Allgemeinen befangen. Andererseits fordern wir die flächendeckende Verstaatlichung der Banken. Damit werden wir keine gesellschaftlichen Mehrheiten erzielen. Wir beschränken uns durch Radikalität auf Protest, statt anschlussfähig zu bleiben.

Ist der Zweck der Linkspartei, Mehrheiten zu erzielen?

Wir geben die Bundestagswahl doch schon verloren, wenn wir eine Regierungsbeteiligung prinzipiell ausschließen. Statt anschluss- und damit handlungsfähig zu bleiben, beschränken wir uns auf die Dämonisierung der SPD und erheben Maximalforderungen wie "Hartz IV muss weg" und "Nato muss weg".

Im neuen Programm muss die Nato gar nicht mehr weg.

Sie soll mit Russland zusammen zu einem Friedensbündnis werden. Damit verabschieden wir uns aus der Diskussion.

Damit wiederum sind Sie dicht am linken Grünen-Flügel. Man könnte sagen: Wer sich nicht unterscheidet, macht sich überflüssig.

Ich sehe in der Überschneidung mit anderen Parteien eher eine Stärke. Wir stehen doch nicht in einem von Inhalten abstrahierten Konkurrenzwettbewerb, in dem wir immer noch einen draufsetzen müssen. Das ist doch absurd.

Ein Beispiel?

Endlich nähert sich der Mainstream einer Forderung, die wir lange erhoben haben: 8 Euro Mindestlohn. Und was machen wir? Wir fordern 10 Euro! Wir waren mit der Forderung nach 435 Euro Hartz-IV-Regelsatz gut aufgestellt. Jetzt gehen wir auf 500 - ohne sachliche Begründung. Unser finanzpolitisches Konzept kostet 300 Milliarden Euro im Jahr. Das ist das Eineinhalbfache des Bundeshaushalts. Das glaubt uns doch kein Mensch!

Auf diese Weise ist die Linke überhaupt erst erfolgreich geworden.

Ich will Lafontaine nicht jeden Erfolg absprechen. Er hat viel geschafft. Aber der Erfolg hat einen hohen Preis. Lafontaine führt die Partei in die Nische, in der sie sich wohl fühlt und mit dem Finger auf andere zeigen kann. Das reicht nicht. In Wirklichkeit steht nämlich ihm das Wasser bis zum Hals. Seine Einlassungen zu Manager-Kidnapping und Generalstreik zeigen doch, dass er selbst fürchtet, dass der Kurs der Fundamentalopposition uns nicht bis zur Bundestagswahl trägt.

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