Horst Dreier als Verfassungsrichter vorgesehen: "Man sollte offen von 'Folter' sprechen"

In seinem Grundgesetzkommentar bezieht Rechtsprofessor Dreier sich auf seinen Schüler Fabian Wittrek, der ganz klar "präventivpolizeiliche Folter" zur Rettung von Geiseln für zulässig hält.

FREIBURG taz Auch ein Musterschüler kann dunkle Ideen entwickeln. Fabian Wittreck hatte eine 1,0 im Abitur, dann studierte er Jura und katholische Theologie, gefördert von der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Doch der heute 39-Jährige befürwortet in bestimmten Fällen polizeiliche Foltermaßnahmen. Dabei spricht er das aus, was sein akademischer Lehrer Horst Dreier nur andeutet. Dreier wurde jüngst von der SPD als neuer Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagen.

Wer wissen will, was Dreier zur Folter meint, muss Wittrecks Aufsatz "Menschenwürde und Folterverbot" lesen, erschienen 2003 in der Fachzeitschrift Die öffentliche Verwaltung. In dem Text, auf den Dreier in seinem Grundgesetzkommentar explizit verweist, hält Wittreck eine "präventivpolizeiliche Folter" für zulässig, um zum Beispiel ein Entführungsopfer zu retten, das "viehisch" behandelt wird und in einem Erdloch "elend zugrunde zu gehen droht". Zulässig wäre die Folter laut Wittreck auch, wenn ein Geheimdienst einen Dissidenten entführt und jenem im Heimatland grausame Behandlung droht oder wenn Menschenhändler ihre Gefangenen sonst in die Sklaverei verkaufen könnten. Die Polizei dürfte nach dieser Konzeption also die Menschenwürde von inhaftierten Verbrechern verletzen, um die Menschenwürde von unschuldigen Opfern zu retten.

Bei Dreier klingt das abstrakter: Zum Schutz der Menschenwürde dürfe "der Rechtsgedanke der rechtfertigenden Pflichtenkollision nicht von vornherein auszuschließen sein", heißt es in seiner Kommentierung zu Artikel 1 des Grundgesetzes. Für alle, die genauer wissen wollen, auf was Dreier sich hier bezieht, verweist er in Fußnote 437 auf den Aufsatz von Wittreck. Und da Wittreck bereits seit 1995 sein wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent am Würzburger Lehrstuhl ist, weiß Dreier genau, worauf er hier Bezug nimmt. Während der Professor das Wort Folter in der entscheidenden Passage seines Kommentars vermeidet, spricht Wittreck Klartext: "Man sollte in diesen Situationen bewusst und offen von 'Folter' sprechen, um den Sachverhalt nicht zu verschleiern", schreibt er.

Erstaunlich ist allerdings, dass Wittreck Folter für unzulässig hält, nur um das bloße Leben einer Geisel zu retten. Doch das ist konsequent. Weil die Menschenwürde im Grundgesetz einen höheren Rang hat als das Recht auf Leben, kann in seinen Augen staatliche Folter nur gerechtfertigt sein, um eine Verletzung der Menschenwürde zu verhindern.

Wittreck und Dreier lehnen andere Folterrechtfertigungen der Rechtsprofessoren Matthias Herdegen und Winfried Brugger als schlecht begründet ab. Dreier wäre damit der erste Verfassungsrichter, der nicht das Folterverbot verteidigt, sondern über die richtige Begründung von Foltermaßnahmen streitet.

Für die ganz große Mehrheit der Verfassungsjuristen ist dagegen die Menschenwürde wirklich unantastbar. Bei ihr ist als einzigem Grundrecht keine Abwägung mit anderen Werten möglich. Nach den Gräueln des Faschismus wurde die Menschenwürde ein für allemal jedem staatlichen Kosten-Nutzen-Kalkül entzogen.

Am 15. Februar soll Dreier im Bundesrat zum Verfassungsrichter gewählt werden. In zwei Jahren würde er vom Vize zum Präsidenten des Gerichts aufsteigen. Doch Zeitungsberichten zufolge hat die CDU/CSU dem SPD-Vorschlag noch nicht zugestimmt. In Unionskreisen stört man sich freilich weniger an der Folterdiskussion, sondern eher daran, dass Dreier für eine Lockerung des Embryonenschutzes in der Forschung eintritt.

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