Minus der Krankenkassen: Regierung kassiert bei Versicherten

Nach acht Monaten Streit steht das Gesundheitskonzept der schwarz-gelben Koalition: Die Krankenkassen-Beiträge steigen, die Begrenzung der Zusatzbeiträge wird gestrichen.

Philipp Rösler Bild: dpa

Als Gesundheitsminister am Dienstagnachmittag vor die Presse trat, wirkte Philipp Rösler (FDP) gelöst wie selten in den vergangenen Monaten. Endlich konnte er ein Ergebnis der Verhandlungen um die Gesundheitsreform präsentieren, und erstmals gab es keine Störfeuer aus der CSU, mit der sich der Minister einen erbitterten Streit über die Frage der Finanzierung geliefert hatte. Seine ursprünglichen Ziele hat Rösler dennoch nicht erreicht. Die Gesundheitskosten werden nicht von der Arbeit abgekoppelt - im Gegenteil. Das drohende Defizit der Gesundheitskassen von 11 Milliarden Euro im Jahr 2011 soll durch eine Mischung aus Einsparungen, Beitragssteigerung und Zusatzbeiträgen aufgefangen werden.

Ab 2011 sollen die Krankenkassenbeiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer nun um zusammen 0,6 Prozentpunkte auf 15,5 Prozent steigen, durch das Konjunkturpaket liegen sie aktuell bei 14,9 Prozent. Der Anteil der Arbeitgeber erhöht sich demnach von 7,0 auf 7,3 Prozent des Bruttolohns und soll auf diesem Stand eingefroren werden, der Anteil der Arbeitnehmer würde von 7,9 auf 8,2 Prozent steigen.

Alle weiteren Kostensteigerungen werden demnach in Zukunft von den Versicherten über Zusatzbeiträge aufgefangen. Dabei werden diese nicht, wie bisher, prozentual vom Einkommen berechnet. Sie können von den Krankenkassen frei bestimmt werden. Die Zusatzbeiträge sollen künftig "nur noch in Euro und Cent" erhoben werden, sagte Gesundheitsminister Philipp Rösler gestern. Damit werde das kurzfristige Defizit im Gesundheitssystem ausgeglichen und gleichzeitig der Einstieg in eine dauerhafte solide Finanzierung ermöglicht, so Rösler.

Bisher durften die rund 160 gesetzlichen Krankenkassen nur einen Zusatzbeitrag von höchstens 1 Prozent des Bruttolohns, maximal 37,50 Euro von ihren Mitgliedern nehmen. Diese Deckelung fällt nun weg.

Übersteigt der Zusatzbeitrag 2 Prozent des Bruttoeinkommens des Versicherten, erhält er allerdings einen Ausgleich. Dieser soll über Steuern finanziert werden und über die Rentenversicherungsträger oder Arbeitgeber an die Betroffenen ausgezahlt werden.

Verdient ein Arbeitnehmer im nächsten Jahr also 1.000 Euro brutto monatlich, bekommt er ab 20 Euro Zusatzbeitrag einen Sozialausgleich. Wenn dieser Zusatzbeitrag etwa bei 25 Euro liegt, werden dem Arbeitnehmer 5 Euro wieder zugeführt, indem der Arbeitgeber ihm diese 5 Euro weniger vom Lohn bei seinen Sozialbeiträgen abzieht.

Ein Antrag muss nach Auskunft des Gesundheitsministeriums dafür nicht gesondert gestellt werden. Ausgenommen sind die Zusatzbeiträge, in der Regel 8 Euro, die einige Kassen schon in diesem Jahr von ihren Mitgliedern fordern. Rösler ging davon aus, dass ab 2014 jährlich jeweils die Summe von 1 Milliarde Euro hinzukommen dürfte, die aus Steuern finanziert werden muss. 2018 müssten dann 4 Milliarden Euro über Steuern ausgeglichen werden, wenn das Gesundheitssystem nicht weiter reformiert würde.

Nach jetzigen Berechnungen des Bundesversicherungsamtes wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag bis 2014 nicht mehr als 16 Euro betragen. In den Folgejahren ist jedoch wegen der älter werdenden Gesellschaft und dem medizinischen Fortschritt mit deutlich steigenden Kosten zu rechnen.

Unklar ist, wie der Sozialausgleich bei Hartz-IV-Empfängern abgewickelt wird. Beide Leistungen, Arbeitslosengeld II und Sozialausgleich, werden aus Steuergeldern finanziert. Dies werde gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium erarbeitet, sagte Rösler.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf der Koalition Wortbruch vor. Statt ihr Versprechen "Mehr Netto vom Brutto" einzulösen, werde nun das Gegenteil eintreten, sagte Steinmeier. Die Menschen hätten künftig wegen der gestiegenen Sozialabgaben weniger in der Tasche. "Die Koalition startet mit einem grandiosen Wortbruch in die Sommerferien."

Der FDP-Politiker habe selbst erklärt, bei einem Scheitern der Gesundheitsreform wolle ihn niemand mehr als Minister haben, sagte Steinmeier. Dieser Fall sei jetzt eingetreten, fügte der Oppositionsführer hinzu.

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