Ludwigshafen nach Wohnhausbrand: Trauer und Gerüchte

Der türkische Regierungschef Erdogan will das Unglückshaus in Ludwigshafen besuchen. Hass-Graffiti schüren Gerüchte über einen Anschlag.

Offenbar vor dem Feuer auf die Fassade gesprüht: "Hass" Bild: ap

LUDWIGSHAFEN taz Von dem Mehrfamilienhaus am Rande der Ludwigshafener City steht fast nur noch die rußgeschwärzte Backsteinfassade. Die Decke des ersten Obergeschosses ist eingestürzt und blockiert den Zugang zur Teestube des Türkischen Vereins im Parterre. "Kale" heißt sie: Burg. Eine "feste Burg" für die türkischstämmigen Menschen im Viertel sollte der Treffpunkt sein, weiß Ali Müller, 47, zu berichten. Jetzt kann das Haus nur noch abgerissen werden. "Hoffentlich war es kein Anschlag", sagt Müller. Dann nämlich werde hier in Ludwigshafen "alles aus den Fugen geraten".

Wie viele hundert Bürger ist der Beauftragte für Integrationsfragen aus dem benachbarten Mannheim am Mittwoch zum Ort der Katastrophe gekommen, um zu trauern - und um seine Solidarität mit den Angehörigen der neun Opfer zu demonstrieren, die am Sonntag zu Tode kamen. Blumen und türkische Fahnen hängen an den Bauzäunen. Die Stadt trauert.

Doch in der türkischen Community kocht auch die Gerüchteküche, wie Bayram Türkoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Rheinland-Pfalz berichtet. So soll eine der Familien, die im Haus lebten, drei Tage vor dem Brand einen Drohanruf bekommen haben: "Sie sind jetzt dran." Die Polizei in Ludwigshafen weiß allerdings nichts von einem solchen Drohanruf. Es gebe viele Spekulationen. "Wir gehen aber allen Hinweisen nach", sagt eine Sprecherin.

Bestätigen kann die Polizei hingegen, dass sich in dem Haus am Danziger Platz Mitte der 90er-Jahre eine Gaststätte befunden hat, deren Gäste "dem rechten Spektrum zuzuordnen waren". In den Jahren danach richteten sich im Erdgeschoss verschiedene türkische Gaststätten und Kulturvereine ein. Im August 2006 wurden Molotowcocktails in das Gebäude geschleudert, ohne dass je Täter ermittelt wurden. Der Fall soll nun auch in die Ermittlungen einbezogen werden. Auch die Brandruine gibt Anlass zu Spekulationen. An der Hauswand stehen die Wörter "Hass" und "Hure", offenbar vor dem Feuer auf die Fassade gesprüht. Doch es gibt auch vage Hinweise auf einen Unfall: Demnach könnte ein Kurzschluss den Brand ausgelöst haben. "Auch das sind nur Gerüchte", so die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Eva Lohse (CDU).

Die Brandursache ist und bleibt vorerst unklar. Die Spurensuche in dem einsturzgefährdeten Altbau kommt nur schleppend in Gang. Erstmals können am Mittwoch Brandexperten das Gebäude betreten. Mit Hunden suchen die Ermittler das Erdgeschoss ab. Spuren von Benzin, Diesel oder andere Hinweise auf eine Brandstiftung lassen sich zunächst keine finden. Die Polizei macht sich inzwischen daran, ein Phantombild eines möglichen Brandstifters zu erstellen. Ob dies gelingt, hänge davon ab, wie belastbar das acht- und das neunjährige Mädchen sind, die einen Mann beim Zündeln im Hausflur gesehen haben wollen, so die Polizei. Die Mädchen sind nach dem Brand traumatisiert.

Im abgesperrten Areal vor dem ausgebrannten Gebäude kommt es am Mittwochmittag zum Menschenauflauf. Vor allem türkische Reporter stürzen sich auf die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), und den für die Türken im Ausland zuständigen türkischen Staatsminister Mustafa Yazicioglu. Zusammen mit Angehörigen der Opfer legen sie Kränze nieder. Böhmer ist erschüttert. "Ich weiß, dass die Ludwigshafener Bevölkerung die Trauer der leidenden Familienmitglieder der Opfer teilt", sagt sie. Und fordert dann die türkischen Medien auf, sich auch mit der Rolle der zahlreichen Helfer aus den Reihen von Feuerwehr, Polizei und Technischem Hilfswerk zu beschäftigte, ohne deren schnelles und beherztes Eingreifen sicher noch mehr Opfer zu beklagen gewesen wären. Es müsse jetzt alles dafür getan werden, dass "keine falschen Annahmen verbreitet werden".

Am heutigen Donnerstag will nun der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan zum Ort der Brandkatastrophe kommen. Wegen der Sicherheitskonferenz in München am Wochenende ist er ohnehin im Land. Vier türkische Brandexperten beteiligen sich bereits an den Ermittlungen.

Nicht allen passt deren Anwesenheit. Sie sei rein innenpolitisch motiviert, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün. "Erdogan will damit Stärke demonstrieren", sagt sie. "Dies geht auf Kosten des Vertrauens der türkischstämmigen Bürger in die deutsche Polizei." Auch die Gewerkschaft der Polizei zeigte sich verschnupft. Von einer offiziellen Beteiligung der türkischen Experten will sie nichts wissen. "Die türkischen Beamten sind Beobachter und können sich von der professionellen Arbeit unserer Polizei überzeugen", heißt es.

Oberbürgermeisterin Lohse kann mit den türkischen Experten gut leben. "Wenn es der Vertrauensbildung dient", sagt sie, "ist das in Ordnung."

Mitarbeit: Wolf Schmidt

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.