Nach Tod eines Abschiebehäftlings in Frankreich: Aufruhr im Lager

Einen Tag nach dem ein Tunesier starb, brennt das Abschiebelager in Vincennes. Menschenrechtler kritisieren die unmenschlichen Zustände und Sarkozys "Abschiebesoll".

Bereits vor fünf Jahren war es zu Protesten und Unruhen vor dem Abschiebelager in Vincennes gekommen, als von dort 300 Papierlose aus Frankreich deportiert werden sollten. Bild: dpa

PARIS taz Dichter Rauch und starker Plastikgestank hingen am Sonntag Abend über Frankreichs größtem Abschiebelager in Vincennes, östlich von Paris. Nachdem am Samstag ein 41-jähriger Insasse im "Centre de rétention administrative" (CRA) gestorben war, kam es einen Tag später zu einem Brand im Inneren. Die beiden großen Gebäude des CRA, in denen 280 Einwanderer aus Schwarz- und Nordafrika, China und Lateinamerika auf ihre Freilassung oder Abschiebung warteten, gingen komplett in Flammen auf. Dutzende Insassen mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Ein Insasse war am Montag Mittag immer noch vermisst. Alle anderen wurden in einem chaotischen Polizeieinsatz in der Nacht zu Montag auf verschiedene andere französische Abschiebegefängnisse verteilt. Der grüne Parlamentsabgeordnete Nol Mamère spricht von einer "Meuterei", der kommunistische Abgeordnete Jean-Pierre Brard von "unmenschlichen Zuständen" im CRA. Verantwortlich für die Zustände in dem Abschiebelager machen die linken Abgeordneten die "Politik der Zahlen" der Regierung. Die verfolgt ein "Abschiebesoll", das der Staatspräsident festgelegt hat. Danach müssen jedes Jahr mindestens 25.000 AusländerInnen ohne Papiere aus Frankreich abgeschoben werden.

"Mörder, Mörder!", skandieren rund 150 DemonstrantInnen am frühen Sonntagnachmittag vor dem CRA. Wie jedes Mal, wenn es im Inneren des berüchtigten CRA einen Todesfall oder eine Verletzung gibt, haben Menschenrechtsorganisationen von Droits devant bis hin zu dem Netzwerk Erziehung ohne Grenzen (RESF) zu einer Protestversammlung aufgerufen. Dieses Mal geht es um einen 41-jährigen Tunesier, der am Vortag im CRA gestorben ist. "Herztod", meldet die Polizeipräfektur. Und schickt später den offiziellen Obduktionsbefund hinterher. Danach gibt es keine "anormalen Umstände, die zum Tode führten. "Was macht ein "Herzkranker in einem Gefängnis?", fragen die DemonstrantInnen. Sie weisen darauf hin, dass es im CRA immer häufiger zu Selbstverstümmelungen, Selbstmordversuchen und anderen Gewalttätigkeiten kommt. "Die Situation ist extrem angespannt", sagen Verantwortliche der Hilfsorganisation Cimade, die Zugang zu den Insassen hat.

Während MenschenrechtlerInnen und Familienangehörige vor dem CRA demonstrieren, bricht um 15.45 Uhr gleichzeitig an mehren Stellen im Inneren Feuer aus. "Brandstiftung", verlautet später aus der Polizeipräfektur. Insassen hätten Matratzen angezündet. Wenige Stunden später behauptet die Polizei, während des Brandes seien "50 Insassen geflohen". Ein Algerier, der zum Brandzeitpunkt in dem Lager ist, erklärt gegenüber der taz in einem Telefoninterview, er könne sich "unmöglich vorstellen", dass jemand aus dem CRA fliehen könne: "Wir sind extrem bewacht." Der Algerier berichtet, dass im Inneren "Panik ausgebrochen ist". Die Insassen seien im Innenhof zusammengelaufen. Manche hätten geschrien und geweint. Die Polizei sei mit Tränengas auf sie losgegangen.

Einen Tag später muss die Polizei ihre voreiligen Angaben korrigieren. "Ein Mann fehlt beim Appell", sagt eine Polizeisprecherin am Montag. Hilfsorganisationen und Insassen halten es nicht für ausgeschlossen, dass er in dem Brand umgekommen ist.

Die Situation in den CRA in Frankreich hat sich seit dem Amtsantritt von Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der rechten Regierung verschärft. Im vergangenen Jahr sind nach Angaben der Cimade 35.000 Einwanderer in Frankreich in Abschiebegefängnisse gekommen, darunter hunderte von Kindern. Die Lager sind überfüllt. Die sanitären Anlagen sind unzureichend. Und das "Betreuungspersonal" ist in jeder Hinsicht überfordert. In dem jetzt abgebrannten CRA von Vincennes eine einzige Person für die medizinische Betreuung der 280 Männer zwischen 18 und 60 Jahren zuständig.

Brice Hortefeux, der Minister für "Einwanderung und nationale Identität", veröffentlich seine Erfolge bei den Abschiebungen von Einwanderern mit Schaubildern in Pressekonferenzen. Hilfsorganisationen wie RESF sprechen von einer regelrechten "Jagd auf Einwanderer." Sie befürchten, dass die neue EU-Richtlinie zur Vereinheitlichung der Abschiebeverfahren den Druck im Inneren der Lager noch weiter erhöhen wird. Nach dem Todesfall vom Samstag und der Meuterei vom Sonntag in Vincennes verlangt der grüne Abgeordnete Mamère eine parlamentarische Untersuchungskommission.

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