Aufräumen in Amsterdams Rotlichtbezirk: Designläden statt Prostitution

Fensterprostitution gibt es seit Jahrhunderten in Amsterdam. Nun wird neben Sex auch Designermode verkauft. Die Huren sind alles andere als amüsiert.

Prostitution ist in den Niederlanden seit acht Jahren eine legale Beschäftigung. Bild: dpa

Samstagabend in Amsterdam: Die Sexarbeiterinnen ziehen die burgunderroten Vorhänge beiseite, jetzt sind ihre Dienstleistungsunternehmen geöffnet. Die Schaufenster am Oudezijds Achterburgwal sind in Rotlicht getaucht, vorbei an den Fensterbordellen der Walletjes, dem weltberühmten Rotlichtviertel, strömen tausende Schaulustige und Kunden.

Die schöne Frau in raffinierten blütenweißen Dessous tanzt, die Brünette im schwarzen Korsett wiegt verführerisch die Hüften, die Dritte sitzt lässig auf ihrem Hocker. Sie raucht und schaut hinaus auf das Treiben der Massen vor ihrem Fenster. Gerade kommt eine Horde alkoholisierter britischer Jungmänner heran, geile Sprüche sind zu hören, einer fragt sie, was es kostet. Unverrichteter Dinge zieht die Truppe weiter, um wenige Meter weiter an den Türsteher des "Moulin Rouge" zu geraten. Er schafft es, den Vergnügungsreisenden Live-Sex-Acts zu verkaufen. Lärmend verschwinden die Wochenendtouristen im Porno-Theater.

Mode im Rotlicht

Prostitution ist in den Niederlanden seit acht Jahren eine legale Beschäftigung. Wer mindestens 18 Jahre alt ist, kann das Gewerbe anmelden, zahlt Steuern, hat eine Krankenversicherung, Rechte. Die Stadt Amsterdam hat drei Gebiete mit Fensterprostitution ausgewiesen, die Walletjes, gelegen im historischen Zentrum, sind eins davon. Hier am Zeedijk und um die Oude Kerk gibt es 380 Fensterbordelle, laut Schätzungen bieten tausend Frauen in den Fenstern, Clubs und über Eskorteagenturen Sex gegen Geld an. Aber das ändert sich gerade. Die Stadtverwaltung will Touristen und Einheimischen mehr als nackte Tatsachen bieten. Ihr umstrittenes Konzept heißt "Red Light Fashion" - Mode, Kunst und gutes Essen.

"Schon seit dem Mittelalter arbeiten ,Freudenmädchen' rund um die Oude Kerk, Sexarbeit wurde hier immer geduldet", erzählt Berna vom Prostitution Information Center PIC. Sie zeigt einen der Arbeitsräume. Hocker, Spiegel, Alarmknöpfe, Waschbecken und der Arbeitsplatz: das Bett. "70 bis 150 Euro kostet ein Fenster für eine Schicht, abhängig von der Lage und Größe des Zimmers", erklärt Berna. "Für 15 Minuten Sex, die Basisversorgung, bezahlt der Freier 35 bis 50 Euro. Eine Sexarbeiterin kommt auf drei bis dreißig Kunden pro Schicht." Gearbeitet wird in den Walletjes rund um die Uhr, die roten Lampen an den Fensterrahmen gehen nie aus.

Draußen laufen zwei Polizisten vorbei, die Ordnungshüter zeigen Präsenz. Es werden illegale Drogen gedealt in diesem Stadtteil, es gibt Schlägereien. Die Frauen seien aber gut geschützt, sagt Berna, sie könnten einander hören durch die dünnen Wände und jederzeit die Polizei rufen, wenn ein Kunde Ärger mache.

Dennoch, der Rotlichtbezirk ist ein Problem, findet der Stadtrat. In den Restaurants, Sexshops, Coffeeshops und Bordellen werde Geld gewaschen. Außerdem sitze ein Teil der Frauen nicht freiwillig hinter den Fenstern. "Wir werden aufräumen", hat Bürgermeister Job Cohen im letzten Jahr angekündigt, Fensterbordelle zu schließen gehöre zum Kampf gegen Menschenhandel und Schattenwirtschaft. Cohens Stellvertreter Lodewijk Asscher legte nach: "Wir müssen die Gegend den Amsterdamern zurückgeben."

Ihren Worten folgten Taten. Seit Februar gibt es neben leicht bekleideten Sexarbeiterinnen in den Vitrinen auch Schaufenster, in denen exklusive Designermode angeboten wird. "Red Light Fashion" heißt das Konzept, Mode und Sex, ohnehin im Wechselspiel, werden nun Schaufenster an Schaufenster verkauft. Die Stadtverwaltung hat frühere Hurenräume an 14 aufstrebende Designer vermietet. Quasi als erste Sanierungsmaßnahme.

Die Modeschöpferin Merel Wicker, 30, zeigt ihre Geschäftsräume. Vorbei an einer üppigen Wandmalerei, die eine Frau in Reizwäsche darstellt, geht es hinauf ins Atelier, wo sie die Kleidung ihres Labels LEW näht. An den Wänden hängen Schnittmuster, Nähmaschinen und Laptops stehen bereit, am riesigen Schneidertisch sitzt Kim Leemans, 31, Wickers Geschäftspartnerin. In den Fenstern vis-à-vis sind Prostituierte bei der Akquise. Leemans und Wicker fühlen sich wohl im Rotlichtmilieu. "Die reguläre Miete könnten wir uns gar nicht leisten", sagt Merel Wicker. Die Räume ein Jahr mietfrei und nur gegen die Zahlung von Gas, Wasser und Strom zu nutzen, empfinden sie als echte Starthilfe. Immobilien sind hier viel Geld wert, Wohn- und Arbeitsräume rar und teuer.

Das Ende der Bananenbar

Die Fensterbordelle, in denen heute die "Red Light Fashion" produziert und verkauft wird, haben bis vor kurzem Charles Geerts gehört, dem "Pornokönig der Walletjes". Im September 2007 hat die Stadt - beziehungsweise die Wohnungskooperative "Het Oosten" - dem Sexunternehmer alle seine Immobilien abgekauft: 18 Gebäude mit 51 Fenstern, zum Preis von 25 Millionen Euro. Der Edelclub "Yab Yum", laut Eigenwerbung "Der exklusivste Männerclub der Welt", wurde kurz darauf im Januar geschlossen. Es hieß, das Etablissement sei in den Händen der mafiösen Hells Angels.

Auch der "Bananenbar" und dem "Casa Rosso", Institutionen in den Walletjes, soll demnächst die Lizenz entzogen werden. Das Konzept ist klar: edle Restaurants und feine Boutiquen für zahlungskräftige Gäste - aber auch Prostitution, denn das Sexgewerbe soll nicht völlig verschwinden. Immerhin hofft man, so die Zahl der Trinkgelage ganzer Billigfliegerbesatzungen zu reduzieren.

Den Türsteher des Porno-Live-Theaters, der seinen Namen nicht in einer Zeitung sehen will, wundern solche Pläne. "Das Rotlichtviertel ist doch eine der Haupttouristenattraktionen mit Besuchern aus aller Welt, etwas ganz Besonderes", sagt er selbstbewusst. Viele Touristen würden staunen über die unverkrampfte Atmosphäre, die hier herrscht.

Es wird viel Geld verdient, 100 Millionen Euro setzt die Sexindustrie in Amsterdam pro Jahr um. Wohl auch deshalb kleben an vielen Fenstern neuerdings Plakate, Slogan "Hände weg von den Wallen". Im Viertel regt sich Protest bei den Mietern, den Betreibern der Imbissbuden, Sexshops, Souvenirläden und Coffeeshops, Restaurants und bei den Prostituierten. Sie alle fürchten um ihre Existenz, die Bewohner ums Flair, ums Originale. Eine Initiative organisiert mittlerweile den Widerstand.

Bürgermeister Job Cohen bleibt bei seinem Plan. Das Gesetz sei für freiwillige Prostitution erlassen worden, aber heute höre man nur noch von Menschenhandel und Ausbeutung.

Das sehen die Frauen vom PIC anders. "Neunzig Prozent der Frauen arbeiten hier freiwillig", schätzt Berna, exakte Zahlen gäbe es nicht, die ausgebeuteten Frauen würden ja nicht mit einem Schild um den Hals herumlaufen. Die Stadt habe einfach die Fensterbordelle geschlossen, statt mit den Betroffenen gemeinsam eine Lösung zu suchen. So würden Zwangsprostituierte sicher nicht befreit.

In der Gasse Männerstau

Auch Ciska Altink von der Prostituiertengewerkschaft "De roode Draad" sagt, sie habe keine belegbaren Zahlen über Zwangsprostitution und Menschenhandel. Wer dagegen vorgehen wolle, müsse die Täter finden und nicht die Fenster schließen. Das sei, wie nach einem Raubüberfall die Bank zu schließen und den Dieb laufen zu lassen.

In der engen Gasse Trompetterssteeg kann man einander kaum begegnen, so schmal ist sie. Weil zu später Stunde immer noch Hochbetrieb herrscht, stauen sich die Männer. Dicht an dicht, beiderseits der Gasse, stehen junge Frauen in ihren winzigen Zimmern. Viele Vorhänge sind zugezogen. Dahinter wird Umsatz gemacht. So wie es seit Jahrhunderten üblich ist in den Walletjes.

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