Keine Deckung mehr für Kriegsverbrecher: Serbien verhaftet Karadzic

Der frühere Präsident der bosnischen Serben gilt als mitverantwortlich für den Völkermord von Srebrenica. Die neue serbische Regierung ließ ihn nach einem Jahrzehnt endlich festnehmen.

Wird offenbar bald ausgeliefert: Radovan Karadzic. Bild: reuters

BELGRAD ap/dpa/afp/taz Nach jahrelanger Flucht ist der wegen Kriegsverbrechen gesuchte frühere Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, festgenommen worden. Die Festnahme sei am Montagabend erfolgt und "eine Aktion der serbischen Sicherheitsdienste" gewesen, erklärte das Büro des serbischen Präsidenten Boris Tadic.

Die französische EU-Ratspräsidentschaft begrüßte die Festnahme als "wichtigen Schritt auf dem Weg hin zu einer Annäherung Serbiens an die EU." Lob für Belgrad kam auch von den USA und dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Serbien steht seit Jahren unter erheblichem internationalen Druck, mutmaßliche Kriegsverbrecher an das Tribunal auszuliefern.

Karadzic ist wegen Völkermordes und anderer Verbrechen angeklagt. So wird er beispielsweise gemeinsam mit dem damaligen Befehlshaber der bosnisch-serbischen Streitkräfte, Ratko Mladic, für das Massaker von Srebrenica verantwortlich gemacht, bei dem 8.000 Muslime ermordet wurden. Karadzic war seit zehn Jahren untergetaucht. Das Massaker gilt als das schwerste in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Sowohl der Internationale Gerichtshof wie auch das UN-Kriegsverbrechertribunal stuften es als Völkermord ein.

Nach der Festnahme versammelten sich in der Nacht Dutzende seiner Anhänger vor dem Gerichtsgebäude in Belgrad, in dem der Festgenommene dem Untersuchungsrichter vorgeführt wurde. Schwerbewaffnete Einheiten der serbischen Polizei zogen in der Nacht zum Dienstag vor dem Gebäude auf. Auch die US-Botschaft, die bereits im Februar im Kosovo-Konflikt zur Zielscheibe serbischer Ultranationalisten geworden war, wurde von der Polizei geschützt.

Mehrere Anhänger Karadzics vor dem Gebäude wurden festgenommen, nachdem sie auf Reporter losgegangen waren. Karadzic wird von vielen Serben immer noch als Patriot verehrt. "Karadzic, du Held", riefen seine Anhänger, und "Tadic, du Verräter".

Über die genauen Umstände bei der Festnahme gibt es widersprüchliche Berichte. Seine Anwältin Sveta Vujacic erklärte, der 63-Jährige sei bereits am Freitagmorgen in einem Linienbus festgenommen und dann festgehalten worden, bis er am Montag dem Untersuchungsrichter vorgeführt worden sei.

Dagegen verlautete aus Polizeikreisen, Karadzic sei nach wochenlanger Beobachtung in einem Haus in einem Belgrader Vorort festgenommen worden. Zuvor habe es einen Tipp von einem ausländischen Geheimdienst gegeben.

Bei seiner ersten Vernehmung durch den Staatsanwalt soll Karadzic geschwiegen haben. Der früher korpulente Mann sei abgemagert und verweigere die angebotene Nahrung, sagte sein Anwalt Svetozar Vujacic am Dienstagmorgen in Belgrad. Das ganze Verfahren gegen ihn sei eine "Farce", habe der 63-Jährige dem Untersuchungsrichter gesagt. Ein Gerichtsmediziner hat Karadzic noch in der Nacht untersucht und ihm eine stabile gesundheitliche Verfassung bescheinigt, sagte der Anwalt weiter.

Mit Autokorsos und Hupkonzerten feierten bosnische Muslime in der Nacht zum Dienstag in Sarajewo die Festnahme Karadzics. Viele Bewohner zogen jubelnd, singend und tanzend auf die Straßen.

Der Chefankläger des Haager Tribunals, Serge Brammertz, gratulierte den serbischen Behörden zu der Festnahme. "Das ist ein wichtiger Tag für die Opfer, die seit über einem Jahrzehnt auf diese Festnahme gewartet haben", sagte er. "Es ist auch ein wichtiger Tag für die internationale Justiz, da dies klar vor Augen führt, dass niemand außerhalb des Gesetzes steht und dass alle Flüchtigen früher oder später der Justiz überstellt werden."

Internationale Ermittler untersuchen ein Massengrab in Pilicer im September 1996. Die Opfer sind vermutlich aus Srebrenica vertriebene Muslime vom Juli 1995. Karadzic gilt als einer der Hauptverantwortlichen für den damaligen Völkermord. Bild: reuters

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon würdigte die Festnahme als "historischen Augenblick". Die Opfer des Bosnien-Krieges hätten 13 Jahre lang auf Gerechtigkeit gewartet. Die US-Regierung feierte die Verhaftung als Tribut an die Opfer der Kriegsgräuel. Ein bedeutender Verbrecher sei "von der Bühne entfernt" worden, sagte der frühere US-Balkanbeauftragte Richard Holbrooke. Karadzic sei der "Osama Bin Laden Europas".

Sollte Karadzic nach Den Haag ausgeliefert werden, wäre er der 44. Serbe, der dem Tribunal überstellt wird. Prominentester Verdächtiger war bislang der frühere serbische Präsident Slobodan Milosevic, der 2000 gestürzt wurde und 2006 in Untersuchungshaft in Den Haag starb.

Dem Bosnien-Krieg von 1992 bis 1995 fielen rund 250.000 Menschen zum Opfer, etwa 1,8 Millionen wurden in die Flucht getrieben.

Nach der Festnahme des früheren bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic sind noch zwei wichtige vom Haager UN-Tribunal angeklagte mutmaßliche Kriegsverbrecher auf der Flucht.

Erstens Ratko Mladic: Der bosnisch-serbische Ex-General war hinter Karadzic bislang die Nummer zwei auf der Fahndungsliste des UN-Tribunals. Wie Karadzic ist auch der ehemalige Militärchef der bosnischen Serben wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bosnienkrieg angeklagt. Er ist der einzige der 19 wegen des Massakers von Srebrenica angeklagten mutmaßlichen Haupttäter, der noch nicht gefasst ist.

Zweitens Goran Hadzic, der ehemalige Präsident der selbst ernannten serbischen Republik Krajina in Kroatien. Der 49-Jährige soll für den Tod hunderter kroatischer Zivilisten und die Deportation von zehntausenden Kroaten durch die serbischen Truppen während des Kroatien-Krieges (1991-1995) verantwortlich sein.

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