Festnahme Ejub Ganic: Kriegsverbrecher oder nicht?

Ejub Ganic soll für den Tod von 40 serbischen Soldaten verantwortlich sein, Anklage hat das UN-Tribunal aber nicht erhoben. Vermutlich will Serbien vom Karadzic-Prozess ablenken.

Bobbahn in Sarajevo. Bild: reuters

SARAJEVO taz | "So ein Stress schon wegen Karadzic, und jetzt auch noch dies", stöhnt Belma Zulcic im Büro der Gesellschaft für bedrohte Völker in Sarajevo. Die Menschenrechtlerin ist über die Festnahme des Rektors der Sarajevo School of Sciences and Technology, Ejub Ganic, am Montag in London entsetzt.

Auch einige internationale Diplomaten sind fassungslos. "Ausgerechnet am Jahrestag der Unabhängigkeit und dem Beginn des Prozesses gegen Radovan Karadzic erfolgte diese Festnahme", erklärte Christian Schwarz-Schilling, ehemaliger Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft gegenüber der taz. Seit zwei Jahren schon lehrt der ehemalige CDU-Abgeordnete an der Ganic-Universität in Sarajevo internationale Politik.

Dem ehemaligen Politiker Ejub Ganic wird von serbischer Seite vorgeworfen, für die Angriffe auf sich zurückziehende serbische Soldaten zu Beginn des Krieges 1992 in Sarajevo verantwortlich zu sein. 40 Soldaten sollen damals getötet worden sein. Ganic galt damals als drittwichtigster Mann der bosnischen Führung hinter Präsident Alija Izetbegovic und Premierminister Haris Silajdzic.

Der aus dem serbischen Sandzak stammende und 1946 in Novi Pazar geborene Naturwissenschaftler Ganic war vor wenigen Tagen nach London gereist, um an einer Zeremonie für die Übergabe der Abschlusszeugnisse für einige seiner Studenten teilzunehmen. Die Prüfungen in Sarajevo werden nach britischen Vorgaben abgehalten und die Professoren der Buckingham University beurteilen letztlich die Abschlussarbeiten. Damit haben die Zeugnisse internationale Gültigkeit.

Die Vorwürfe gegen Ganic wurden vom UN-Tribunal in Den Haag untersucht. Anklage wurde nicht erhoben. Gleichwohl ermittelt die Staatsanwaltschaft in Sarajevo aufgrund einer serbischen Bitte gegen Ganic. Nach bosnischer Darstellung sollten die Soldaten der jugoslawischen Armee 1992 ohne ihre schweren Waffen abziehen. Dafür war ihnen freies Geleit versprochen worden. Doch nachdem klar war, dass die Armee mit den schweren Waffen abziehen wollte, kam es zu den bewaffneten Auseinandersetzungen.

Die serbische Regierung, die Ganic über Interpol suchen ließ, will nun einen Auslieferungsantrag in Großbritannien stellen. Dabei wurde erst vergangene Woche ein Abkommen zwischen Sarajevo und Belgrad unterzeichnet, in dem festgelegt ist, dass Verbrechen im jeweiligen Land, in dem der Angeklagte die Staatsbürgerschaft besitzt, untersucht werden sollen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Verhaftung von Ganic ein Ablenkungsmanöver gegenüber dem Karadzic-Prozess ist. "Man will in Belgrad den Eindruck erwecken, als sei die Kriegsschuld gleich verteilt", hieß es in einem Radiokommentar.

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