Georgiens Taktikfehler: Zu hoch gepokert

Georgiens Versuch, Südossetien unter Kontrolle zu bringen, ist gescheitert. Präsident Saakaschwili setzte auf die Hilfe der USA - ein folgenreicher Irrtum.

Saakaschwili wollte, dass Bush ihm Russland vom Hals hält? Zu viel verlangt, finden die USA. Bild: dpa

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat in Telefonaten mit Moskau und Tiflis um die Aufnahme direkter Gespräche geworben. Steinmeier entsandte zudem einen Sonderbeauftragten in die Konfliktregion. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief beide Seiten zu einer bedingungslosen Waffenruhe und dem umgehenden Rückzug der aufmarschierten Truppen auf. Den Rufen nach einer Waffenruhe schlossen sich alle im Bundestag vertretenen Parteien an. Im Gegensatz zur CDU richtete die SPD scharfe Kritik auch an die Georgier. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), hielt der Regierung in Tiflis eine Verletzung des Völkerrechts vor und äußerte in einem Interview Verständnis für das russische Vorgehen. Dagegen warf der CDU-Außenexperte Eckart von Klaeden dem Kreml vor, die Eskalation mit der Ausstellung russischer Pässe an Südosseten bewusst herbeigeführt zu haben.

Michail Saakaschwili hat sich verspekuliert. Der am Freitag letzter Woche begonnene Versuch, die seit 1992 abtrünnige Provinz Südossetien mit Waffengewalt wieder unter georgische Kontrolle zu bringen, ist blutig gescheitert. Mehr noch, mit seinem militärischen Abenteuer dürfte Saakaschwili alle Chancen verspielt haben, die georgischen Verluste von Anfang der 90er-Jahre zu mindestens teilweise wieder rückgängig zu machen. Was also hat den georgischen Präsidenten getrieben und worauf hat er spekuliert?

Noch gibt es dazu keine verlässlichen Informationen, aber offensichtlich ist Saakaschwili davon ausgegangen, dass seine US-Unterstützer, allen voran US-Präsident George W. Bush, dafür Sorge tragen würden, dass Russland so lange stillhält, bis die von den USA aufgerüsteten und trainierten georgischen Truppen in Südossetien neue Fakten geschaffen haben.

Ein verhängnisvoller Irrtum, der wahrscheinlich mehreren tausend Menschen das Leben kostete, Südossetien verwüstet zurücklässt und selbst Städte in Georgien in eine Kriegszone verwandelte.

Obwohl der Konflikt zwischen Georgien und seinen beiden abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien bereits seit 1992 vor sich hin schwelt, bekam er mit der Unabhängigkeitserklärung der vormals serbischen Provinz Kosovo im Februar dieses Jahres eine neue Dynamik. Für die Bevölkerung in Abchasien und Südossetien war die Unabhängigkeit des Kosovo ein Zeichen dafür, dass auch für sie möglich sein müsse, was den Kosovaren erlaubt wurde - für Russland waren die beiden Provinzen eine Revanchemöglichkeit, um dem Westen zu zeigen, dass das Instrument der Selbstbestimmung auch gegen westliche Interessen gerichtet werden kann. Der damals noch als russischer Präsident amtierende Wladimir Putin erklärte, Russland werde seine Beziehungen zu den Führungen der separatistischen Provinzen aufwerten, was einer De-facto-Anerkennung gleichkam.

Michail Saakaschwili sah zwar richtig, dass damit nach 15-jährigem Stillstand das Endspiel um die zukünftigen Grenzen Georgiens begonnen hatte, doch er setzte auf die falsche Karte. Statt mit Russland einen Deal auszuhandeln, schickte er seine Armee.

Der erste Anlauf fand in Abchasien statt. Ende April, Anfang Mai wurden georgische Truppen an der Waffenstillstandslinie zwischen Abchasien und Georgien zusammengezogen. Es kam zur Drohnen-Episode, als russische Kampfflugzeuge georgische Aufklärungsdrohnen über Abchasien abschossen und damit schon im Frühjahr klarmachten, dass Russland eine Militärintervention in Abchasien nicht hinnehmen würde. Anschließende Gerüchte, dass georgische und russische Unterhändler darüber verhandelten, dass der Konflikt durch einen Gebietsaustausch - der westliche Teil Abchasiens geht wieder an Georgien und Tiflis akzeptiert im Gegenzug die Unabhängigkeit des verbleibenden Teils Abchasiens - ließ Saakaschwili sofort dementieren. Stattdessen eskalierten plötzlich die Auseinandersetzungen an der georgisch-ossetischen Grenze.

Die USA haben zwar das russische Vorgehen in Südossetien scharf kritisiert, doch das war es denn auch. Selbst Bush denkt offenbar nicht im Entferntesten daran, US-Soldaten zur Durchsetzung georgischer Interessen in Südossetien oder Abchasien einzusetzen.

Ganz zu schweigen von der Nato, auf die Saakaschwili anscheinend auch noch spekuliert hatte. Dabei, so zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Fraser Cameron vom EU-Thinktank für Russland in Brüssel, hatte Saakaschwili genügend Warnungen aus dem Westen erhalten, dass er wissen konnte, dass "niemand die Kastanien für ihn aus dem Feuer holen würde und keine Kavallerie eingeritten käme". "Im Gegenteil" so James Nixey, ein Analyst des Royal Instituts für Internationale Beziehungen in London, "in den meisten westlichen Hauptstädten war man Saakaschwilis Überreaktionen längst leid. Er ist in großer Gefahr, seinen Kredit endgültig zu verspielen."

Was die USA, die EU und auch Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei seiner jüngsten Friedensmission in Georgien und Abchasien erreichen wollen, ist Ruhe im Kaukasus, auch wenn dafür Georgien Konzessionen in Gebieten machen muss, die es in Wahrheit längst verloren hatte. Dazu bedarf es diplomatischer Geschmeidigkeit, die Saakaschwili auf dem von Steinmeier eingefädelten Treffen von Abchasen, Russen und Georgiern in Berlin Mitte August hätte zeigen können. Dieses Treffen ist längst geplatzt, stattdessen hat Saakaschwili mit seinem Militärabenteuer nun Russland die goldene Gelegenheit serviert, seinerseits militärisch Fakten zu schaffen. Ein Zurück zum Status quo ante wird es nicht mehr geben. Putin hat von der nordossetischen Hauptstadt Wladikawkas aus längst klargemacht, dass es den Südosseten zukünftig nicht mehr zuzumuten sei, jemals wieder unter georgische Herrschaft zu geraten. Dasselbe gilt für Abchasien. Saakaschwili hat hoch gepokert - und verloren.

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