Linke Aktivisten überwacht: Sieben Jahre ohne Privatleben

Seit 2001 überwachten Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz drei Männer aus Berlin. Erst waren sie Terroristen, dann Kriminelle und am Ende unschuldig.

Wegen der Ermittlungen des BKA gegen die drei Männer gab es Proteste vor dem Landgericht in Berlin. Bild: dpa

Ob die Staatsschützer jemals durch ihre Überwachungskameras blickten und sich fragten: Die drei sollen also der harte Kern einer Terrorzelle sein? Aus der Nähe betrachtet, sind Markus H., Ernst-Joachim U. und Jonas Erik F. drei völlig normale Typen: ein 60-jähriger Physiker mit wissenschaftlerwirrem, grauem Haar, ein 36-jähriger Menschenrechtler, der eine ziemlich gute Kopie von Billy Crystal in "Harry und Sally" abgeben könnte, und ein blonder 49-Jähriger, der gut als Unidozent durchgehen würde.

Seit Mitte 2001 war das Bundeskriminalamt (BKA) davon überzeugt, die drei seien, im Bunde mit einem unbekannten Vierten, die Gründer der "militanten gruppe" (mg). Die Hinweise kamen vom Verfassungsschutz. Die mg hat sich seit Mitte des Jahres 2001 zu 25 Anschlägen bekannt, meist Brandanschläge. Ihr Ziele sind ein politischer Umsturz in Deutschland und die Schaffung eines Netzwerks militanter linker Gruppen. Die Ermittlungen gipfelten in einer bundesweiten Razzia am 9. Mai 2007, bei der auch Wohnungen, Büros und Autos der drei Berliner durchsucht wurden.

Doch das BKA überwachte offensichtlich jahrelang die Falschen, dazu mit fragwürdigen Mitteln. Alte Stasi-Akten wurden ausgewertet, auch Gespräche mit Anwälten mitgeschnitten. Ende September stellte die Generalbundesanwaltschaft das Verfahren ein. Fazit der Ermittler: "Beweismittel liegen nicht vor."

Markus H. und Ernst-Joachim U. bezeichnen sich als "bekannte linke Aktivisten", waren in den 80er-Jahren an Besetzungen des Rathauses Berlin-Schöneberg oder der DGB-Zentrale beteiligt, setzten sich für die Freiheit "politischer Gefangener" ein, wozu sie auch RAF-Mitglieder zählten.

Brisant ist, dass das BKA den Anfangsverdacht des Verfassungsschutzes in Zweifel zog und trotzdem jahrelang ermittelte. Ernst-Joachim U. soll unter dem Decknamen "Antonio" bei einem "Runden Tisch der Militanten" über die Konstruktion von Brandsätzen gesprochen haben. Die Untergrundzeitschrift Interim veröffentlichte im Jahr 2000 eine Aufzeichnung des Gesprächs. Der Verfassungsschutz verglich Bekennerschreiben zu Brandanschlägen mit den gedruckten Äußerungen Antonios. Ergebnis: Antonio war einer der Verfasser der Schreiben. Auf einmal galt Ernst-Joachim U. als Kopf einer seit Jahren aktiven linksextremen Gruppe, der späteren "militante gruppe".

Das BKA allerdings zog die Methodik in Zweifel: Immerhin seien die Äußerungen Antonios von einem Interim-Autor frei überarbeitet worden. Absurderweise übernahm das BKA dennoch die Argumentation des Verfassungsschutzes, um am 9. Mai 2007 beim Bundesgerichtshof eine Razzia gegen die gesamte linke Szene zu erwirken. Später entschied der Bundesgerichtshof, dass die Razzia rechtswidrig war, zudem sei die Einstufung der mg als terroristisch falsch - fortan galt sie als kriminell.

Ausgehend vom vagen Anfangsverdacht wurde jahrelang fleißig überwacht: GPS-Peilsender und Mikrofone im Wagen von Ernst-Jochen U., das WG-Telefon und Handys wurden angezapft, Kameras vor den Hauseingängen installiert, Kontobewegungen eingesehen. Wie Parasitenbefall fühle sich das an, sagt Markus H. Das BKA verwanzte sogar die Lieferwagen der Bäckerei, wo Ernst-Jochen U. arbeitete.

Es gab peinliche Pannen: 2002 erhielt Jonas F. eine Telefonrechnung, auf der ein Telefonanbieter versehentlich 44 Euro Verbindungsentgelt für die Überwachung durch das BKA in Rechnung stellte. Bereits damals vermerkte das BKA, man könne die Aktion einstellen: Erstens wüssten die Beschuldigten ja nun davon, außerdem gebe es nichts Belastendes gegen sie. Es ging trotzdem weiter. Ein Jahr später lasen die drei von sich im Focus-Magazin. Der Redakteur Josef Hufelschulte hatte über Jahre hinweg geheime Akten des BKA erhalten.

Das BKA lauschte weiter, offensichtlich parallel zum Verfassungsschutz, wie aus den Akten hervorgeht. Die Beweismittel türmten sich: "F. betritt Objekt mit einem Kindersitz und einem Regenschirm." Ernst-Jochen U. machte sich verdächtig, weil er in seinem Wagen Radio 1 hörte - einen Sender, an den auch ein Bekennerschreiben der militanten gruppe ging.

"Sippenhaftung ist das, schreiben Sie ruhig, dass ich richtig wütend bin", sagt Ernst-Jochen U. heute. Auch gegen seinen Sohn lief ein Verfahren, denn wegen enger sozialer Kontakte zu seinem Vater könnte er ebenfalls Mitglied der mg sein. Außerdem hat er seinen Vater am Telefon nach Sekunden- und Plastikkleber gefragt - womit man auch einen Brandsatz bauen könnte. Dass es dabei um die Reparatur von Zinnfiguren ging, wie Ernst-Jochen U. sagt, steht nicht in den Akten.

Offiziell hat das BKA die Überwachung eingestellt. Ob der Verfassungsschutz immer noch ermittelt, werden die drei wohl nie erfahren - falls es nicht auf ihrer Telefonrechnung steht.

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