Aktivierung der Netzsperren: "Verheerender Ausblick"

In den nächsten Wochen muss das Gesetz zur Netzsperre von den Providern umgesetzt werden. Michael Rotert von der deutschen Internetwirtschaft warnt vor Überregulierung und Offline-Politikern.

Kreativer Protest in Ulm gegen das von Ursula von der Leyen auf den Weg gebrachte Gesetz zur Internetsperre. Geholfen hat es nichts. Bild: dpa

Herr Rotert, Sie vertreten viele große Internet-Dienstleister in Deutschland und müssen jetzt die Durchsetzung des neuen Netzsperrengesetzes koordinieren. Beschäftigen Sie jetzt viele kleine Zensoren?

Michael Rotert: Vielleicht hätten die Politiker das so gerne, aber dem ist natürlich nicht so. In der Tat musste aber das BKA als Listenersteller fast schon überredet werden, die Sperreinträge nicht als Excel-Liste zu schicken. Denn was wir brauchen ist ein verschlüsseltes Format, das die automatisierte Übernahme ermöglicht. Da braucht auch keiner mehr in die Listen zu schauen.

Michael Rotert ist Vorstandsvorsitzender des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft, eco e.V., in dem die meisten deutschen Netzprovider vertreten sind. Der Verband war federführend bei der Errichtung des zentralen deutschen Netzknotens DE-CIX in Frankfurt und vertritt die Provider gegenüber der Politik. Rotert selbst ist Netzveteran: Als Forscher an der Uni Karlsruhe arbeitete er aktiv an der ersten Internet-Anbindung Deutschlands in den Achtzigerjahren mit.

Und wer zensiert?

Als Zensoren könnte man die Listenersteller bezeichnen, aber hier gilt es abzuwarten, bis die ersten Listen vorliegen. Dann wird sich sicher schnell zeigen, von welcher Qualität die Einträge sind. Ich gehe davon aus, dass die deutsche Liste, wie auch in den anderen Ländern in denen geblockt wird, innerhalb kürzester Zeit im Netz zu finden sein dürfte. Übrigens warnt selbst der Europarat vor Überregulierung und schleichender Zensur.

Im Netzsperren-Gesetz steht, dass so genannte Domain-Blockaden nur die Mindestvoraussetzung sind. Dabei werden einzelne Adressen auf den Sperrserver umgeleitet, was sich technisch sehr einfach umgehen lässt. Was können die Nutzer noch erwarten, wenn die Sperrinfrastruktur einmal steht?

Die Forderungen liegen jetzt schon auf dem Tisch. In der Warteschlange stehen wegen illegaler Downloads die Rechteinhaber, Glücksspiele, Onlinespiele, rechtsradikale Server etc. Dabei muss man zwei Dinge sehen, erstens: wer erstellt die Einträge und zweitens: über wie viele Einträge reden wir hier. Die Anzahl der Einträge ist endlich, denn irgendwann geht die Bandbreite in die Knie, weil das Netz nur mit Nachschauen beschäftigt ist, ob der Eintrag umgelenkt werden muss.

Also lässt sich das Netz nicht sperren.

Letztendlich nicht. Der Ausblick ist allerdings erschreckend, denn wenn semantische Verfahren einmal weiterentwickelt sind, kann auch nach beliebigen Inhalten per Beschreibung gesucht werden. Allerdings sind die Verfahren noch nicht für den Einsatz direkt im Datenstrom geeignet. Zusätzlich muss natürlich dann auch die Infrastruktur überwacht werden, damit ja nichts am Staat vorbeigeht.

Und das würde schon in der realen Welt nicht funktionieren. Nicht auszudenken, wenn die Post auch alle Briefe kontrollieren müsste. Denn nur dann ist ja die Forderung der Politiker erfüllt, dass die Onlinewelt der Offlinewelt im juristischen Sinne entspricht. Auch müsste man aus den Büchereien alle Bücher mit Bombenbauanleitungen entfernen, denn die darf es auf dem Netz auch nicht geben. Schlüsseldienste müssen ebenso zumachen, denn in der Onlinewelt sind Hackertools, auch wenn sie für Sicherheit sorgen, verboten.

Wie viel müssen Ihre Mitglieder in die Sperrinfrastruktur investieren? Ersetzt Ihnen das jemand?

Der Mitteleinsatz lässt sich so genau nicht bestimmen, denn es hängt natürlich stark von der Netzinfrastruktur und Größe des jeweiligen Providers ab. Wir gehen beim derzeitigen Umfang von einem dreistelligen Millionenbetrag aus, der gerade in einer Finanzkrise zum Fenster rausgeschmissen wird.

Zusätzlich werden Provider durch alle diejenigen, die Zensur nicht mögen und deshalb auf andere Nameserver ausweichen, was jeder in seinem Rechner einstellen kann, noch dadurch bestraft, dass Dienste von Nichtkunden verstärkt genutzt werden. Natürlich will der Staat dies alles zum Nulltarif und verweist hier wie bei allen anderen Maßnahmen auch bei den Providern auf die Bürgerpflicht.

Trotz des heiklen Themas Kinderpornografie, das neben dem Terrorismus in der Politik offenbar gerne als Totschlagargument verwendet wird, hat sich die Netzcommunity massiv gegen das Sperrgesetz gewehrt. Genutzt hat es wenig. Die Politik scheint das Internet noch nicht ernst zu nehmen. Denken Sie, dass sich das in den nächsten Jahren ändert?

Genau dieses Thema und die Opfer für den Wahlkampf zu missbrauchen und dabei mit den Sperren noch nicht einmal Opferschutz oder Täterverfolgung zu bieten, ist eher eine Verhöhnung der Wähler, als solide und bürgerfreundliche Politik.

Den missbrauchten Kindern ist nicht damit gedient, dass eine Frau von der Leyen sich hinstellt und erzählt, wie wunderbar die Sperren funktionieren. Mit jungen Abgeordneten wird sich aber sicher auch das Verhältnis zum Internet mit der Zeit ändern. Nur heute weiß die Politik noch nichts mit dem Internet anzufangen. Bestes Beispiel ist der aktuelle Wahlkampf: Anstatt kreativ zu sein, stellen viele Politiker ganz platt nur das ins Netz, was sie auch in gedruckten Prospekten veröffentlicht haben.

Die Netzcommunity fürchtet, dass die einmal errichtete Infrastruktur missbraucht werden könnte, etwa zum Sperren anderer missliebiger Inhalte vom Killerspiel über die Raubkopie bis hin zu politischen Inhalten. Teilen Sie die Befürchtungen?

Dies ist zumindest jetzt schon die Forderung einiger Politiker, die noch ein Wahlkampfthema suchen, obwohl das Gesetz sich ausschließlich gegen Kinderpornografie richtet. Aber die Vergangenheit hat ja schon bei den Daten der Autobahnmaut gezeigt, dass die Politik auf dem Standpunkt steht, "was interessiert mich mein Geschwätz von gestern". Dies gilt insbesondere für die Zeit nach der Wahl.

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