Radsportler Tony Martin: Ganz der junge Ullrich

Tony Martin, ein junger Deutscher, ist unter den besten zehn der Tour de France platziert.

Soll als Rundfahrer noch wachsen: Tony Martin. Bild: ap

MONTPELLIER taz | Wer in Deutschland Fahrrad fährt und damit mehr Geld verdient als auch der schlaueste aller Fahrradkuriere, muss Fähigkeiten zum verbalen Slalom aufweisen. Der junge Radprofi Tony Martin ist ein solcherart begabter Geselle. Wer seinen Sommer seit mittlerweile mindestens 13 Jahren mit Tour-de-France-Gucken verbracht hat, sieht in dem gebürtigen Erfurter einen früheren Rostocker auferstanden. "Ganz der junge Ullrich", raunten grauköpfige Experten, als sie den Fahrstil Martins beim Prolog der Tour in Monaco begutachteten. Martin hatte dort Lance Armstrong die zwischenzeitliche Bestzeit abgejagt.

Mit dem Ulle-Vergleich konfrontiert, ließ Martin verlauten: "Es ist eine Ehre für mich, als Hoffungsträger zu gelten." Er erzählte noch etwas über den Erwartungsdruck der Öffentlichkeit, dem er entgehen wolle. Er ließ aber die Gelegenheit aus, auf den Schweizer Pensionär verbal einzudreschen und vermied es andererseits, in den diskursiven Schlamassel einer Dopingrelativierung hineingezogen zu werden. Vielmehr gelang es ihm, den schwarzen Peter an jene Journalisten zurückzugeben, die als Vertreter einer doch recht simpel gestrickten Öffentlichkeit gleich nach seinen Aussichten auf das Gelbe Trikot fragten. Martin erläuterte ihnen, dass das nicht realistisch sei und dass er an der Tour de France teilnehme, um erst einmal zu lernen. Aus dem Munde des Blondschopfs hörte sich das nicht nach falscher Bescheidenheit an, sondern nach einer soliden Bestandsaufnahme..

Der 24-jährige Tony Martin ist Lehrling bei der Tour. "Er soll als Rundfahrer wachsen", sagt Rolf Aldag. Der Sportdirektor von Columbia HTC hat deshalb den Wettbewerb um das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers zur Rundfahrtschule seines Schützlings auserkoren. "Er soll sich an Vincenzo Nibali und Roman Kreuziger orientieren", meint Aldag. Die beiden Fahrer vom italienischen Team Liquigas sind neben dem Luxemburger Andy Schleck, der es aber bereits auf das Gelbe Trikot abgesehen hat, die härtesten Konkurrenten Martins. Beide haben zudem mehr Erfahrung bei dreiwöchigen Rundfahrten aufzuweisen. Eine Top-Ten-Platzierung, die Martin derzeit innehat, gibt Rolf Aldag bewusst nicht als Ziel aus.

Bislang hat Martin schnell gelernt. Er gilt als Zeitfahrspezialist, was für einen jungen Fahrer eher ungewöhnlich ist. Dank dieser Fähigkeit hat er den zweiten Platz bei der Tour de Suisse in diesem Jahr geholt. Die war in diesem Jahr nicht die Bergschlacht aus früheren Zeiten, als etwa ein Ullrich oder Andreas Klöden triumphierten. Das Profil war vielmehr auf den Zeitfahrspezialisten Fabian Cancellara zugeschnitten, der seine heimische Tour auch prompt gewann. Tony Martin hatte sich in der Schweiz das Rosa Trikot des besten Bergfahrers geholt. Dies ist Beweis für seine gewachsenen Fähigkeiten bei Anstiegen. Beweis für seinen Realitätssinn ist, dass er trotz Bergtrikot zugibt: "Wenn es über drei Berge der ersten Kategorie geht, kann ich nicht vorne dabei sein. Aber wenn es nicht zu steil ist, komme ich mit meiner Kraft gut rüber."

Tony Martin tritt als junger Mann schon auf die Euphoriebremse der öffentlichen Erwartung. Das spricht für ihn. Es spricht auch für einen Lernprozess bei der jüngeren Radsportgeneration.

Ein wenig Hoffnung, dass Tony Martin nicht vom Pfad der Tugend abkommen wird, bereitet die Tatsache, dass er zuweilen auf Trainingseinheiten und Renntermine verzichtet hat, um seine Prüfung zum Polizeimeister zu bestehen. Es gibt gewiss spektakulärere Ziele für einen jungen Mann. Aber im immer noch verseuchten Feld des Profiradsports ist die Sicherheit einer Beamtenlaufbahn vielleicht genau das richtige Mittel, um sportethische Entgleisungen zu verhindern. Tony Martin ist ein lohnendes Objekt für Hoffnungen.

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