Frauenfußball: Das bessere Mädchen

Anja Liebich ist 14 und hat oft Fußball mit Jungs gespielt. Jetzt kickt sie bei Tennis Borussia Berlin mit ihresgleichen - und fühlt sich ganz schön benachteiligt.

Dribbeln bei TeBe: Anja Liebich Bild: Bernd Hartung

BERLIN taz Die Luft ist eisig an diesem Montagabend in der Hans-Rosenthal-Sportanlage in Charlottenburg. Von den mit Flutlicht beleuchteten Kunstrasenplätzen dringen Schreie der Spieler in kurzen Hosen herüber. Die Umstehenden am Spielfeldrand sind in dicke Jacken gehüllt, treten von einem Fuß auf den andern und vergraben ihre Hände tief in den Taschen. Darunter auch Erwin Scholz, Polizeibeamter und Trainer - er wartet auf seine 20-köpfige Mädchenmannschaft von Tennis Borussia.

Die Frauen des traditionsreichen Berliner Vereins spielen seit der Saison 2004/05 in der zweiten Bundesliga Nord. Momentan sind sie auf dem ersten Platz, doch es gibt enorme Nachwuchsprobleme. Noch vor zwei Jahren, so Coach Scholz, gab es nicht einmal eine E-Jugend bei den Mädchen. Und auch heute gibt es nur eine B- und eine E-Juniorinnen-Mannschaft. Scholz reibt sich fröstelnd die Hände, wartet und schweigt. Es ist kurz vor 18 Uhr. Doch bisher ist nur ein Mädchen erschienen, das sich einen Ball aus dem Netz nimmt und zu jonglieren beginnt. Kurz darauf betritt die 14-jährige Anja Liebich den Rasen und tut es ihr nach. Bis zu 200-mal könnte sie es schaffen: links, rechts, Knie, links, rechts. Die Chancen sind gut, ihr noch lange zusehen zu können - denn auf dem Rasen üben sich nur zwei einsame Spielerinnen in Ballkunst und warten auf ihre Mannschaft. Nebenan bei den Jungs hat das Training längst begonnen. Man braucht gar nicht erst hinzusehen, denn der Trainer ist unüberhörbar.

Scholz deutet hinüber: "Mädchen kann man so nicht anschreien. Die würden denken, der Trainer redet schlecht mit mir, und kommen nie wieder." Aber die, die mal mit Jungs trainiert haben, weil sie sehr früh angefangen haben, das seien die besten. In Technik, im Körpereinsatz, in Schnelligkeit. So wie Anja. Sie spielt schon seit ihrem sechsten Lebensjahr Fußball, war lange Zeit in verschiedenen Jungenmannschaften. Ein Jahr sogar in der Landesliga ihrer Altersklasse, was eigentlich verboten ist, da Mädchen im jeweils jüngeren Jungsjahrgang spielen müssen. Als der Fehler entdeckt wurde, folgte der Ausschluss. Punkte wurden aberkannt, und es gab Tränen. "Bei denen", so die junge Stürmerin und zeigt auf die trainierenden Jungs, "lernt man irgendwie mehr." Überall war sie einziges Mädchen, und wenn man als Mädchen gut Fußball spielen kann, dann grenzen sie einen aus. "Sie lassen so Sprüche ab, weil sie eifersüchtig und sauer sind."

Um 15 Minuten nach 18 Uhr sind nun endlich auch die anderen eingetrudelt. Es sind nur 14 Spielerinnen, und nachdem "Trainer Erwin" statt zu schimpfen ein paar Tipps gibt, kann die Erwärmung endlich beginnen. Selbstständig laufen und sprinten die jungen Fußballerinnen die Torlinie hoch und runter. Danach üben sie Doppelpass, später schießen sie am Verteidiger vorbei aufs Tor. Die blonde Anja ist kleiner als ihre Alterskameradinnen, dafür aber flink und geschickt mit dem Ball. Gut antäuschen kann sie auch. Anjas Eltern, die sie von Dallgow-Döberitz rund 20 Kilometer zum Training bringen müssen, stehen am Rand und können sich laute Kommentare nicht verkneifen. "Anja, setz dich durch!", brüllt der Vater.

Manchmal fehle ihr der Ellenbogeneinsatz, und deshalb habe ihr der Sportschullehrer empfohlen, bei den Jungs mitzuspielen, sagt Vater Liebich. Aber dort saß sie immer öfter auf der Bank. Viel Schwächere als Anja wurden aufs Feld geschickt. Sie seien doch keine Mädchentrainer, lautete die Begründung der Coaches - wenn es überhaupt eine gab. Wenn die Jungs vor einem wichtigen Spiel einen Kreis gebildet haben, stand Anja daneben, weil es verboten war, ein Mädchen anzufassen. Später haben die Eltern von den Müttern dann gehört, dass es Diskussionen gab. Einer der Jungs hat am Abendbrottisch geweint, weil es einfach nicht sein kann, dass ein Mädchen besser ist. Ja, Jungs spielen nicht gern mit Mädchen, bestätigt auch Trainer Scholz und nickt nachdenklich. Dann bläst er laut in seine Pfeife.

Die Hälfte der B-Juniorinnen zieht sich neongelbe Leibchen über. Nun dürfen sie endlich spielen. Zuerst schießen sie nur auf ein Tor. Fast kein Ball gerät ins Aus, so zielsicher wird abgegeben, und so routiniert ist die Annahme. Dass es heftig zu regnen angefangen hat, stört die Spielerinnen nicht. Dafür scharen sich die umstehenden Väter, die auf ihre Jungs warten, dicht gedrängt unter eine Markise. Eines der Mädchen schießt aufs Tor, doch der Ball segelt darüber hinweg. Plötzlich lässt es sich tobend auf den Boden fallen und schreit laut über den Platz. Alle sehen hin und müssen lachen. Über zwei Jahre spielte Anja bei Turbine Potsdam, dem Vorzeigeverein aus Brandenburg.

Dort lernte sie die Technik, und das Spielfieber packte sie so richtig. Seitdem ist es ihr Traum, in der Nationalauswahl spielen zu dürfen, am liebsten bei einer Weltmeisterschaft. Doch als sie getrennt von den Eltern auf ein Internat sollte, ist sie aus dem Verein ausgetreten. Die Eltern haben Anja deshalb nie Vorwürfe gemacht, doch die Messlatte habe immer, auch heute noch, bei Turbine gelegen. "Aber dann ist man auch sein Kind los", wirft Mutter Liebich ein. Und Fußball mache da keinem Spaß mehr, ergänzt der Vater. Die Kinder hetzen zum Essen, und morgens müssen sie zu den berüchtigten "Cooper-Rennen": acht Sportplatzrunden in zwölf Minuten. Schafft man das nicht, geht das Rennen von vorne los. "Die sind doch mit 16 total übertrainiert", sagt die Mutter. Als Anja vor kurzem bei der Nationalmannschaftssichtung in Duisburg war, wurde sie gar nicht erst aufgestellt, da die gesamte Auswahl nur aus Turbine-Mitgliedern bestand. Es sind nur wenige Vereine bei den Frauen, die ganz oben mitspielen dürfen, sagt Vater Liebich. Die anderen dümpeln rum, und es ist egal, ob da talentierte Spielerinnen mitspielen. Die Eltern sehen ratlos zum Platz.

Dort ist das Spiel noch in vollem Gange. Die Mädchen schießen, und die Männer unter der Markise schauen interessiert zu, da der Kampf um den Ball nun richtig entbrennt. Trainer Erwin hat sich ins Tor gestellt und ruft seinen Mädchen zu: "Ja, aggressiv, das ist richtig." Dann ertönt der Schlusspfiff. Die Mädchen stürmen vom Platz, und der Trainer beginnt, die Bälle ins Netz zu räumen. Anja läuft mit rotem Gesicht, aber glücklich, zur Umkleidekabine. Wer ihr Vorbild sei? "David Beckham", kommt es wie aus der Pistole geschossen. Dann stutzt sie, denkt einen Moment nach: "Na ja, Conny Pohlers, die hat Biss, aber nur wenn sie Tore schießt."

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