WM Qualifikation Ägypten - Algerien: Das Ende der Lethargie

Das Fußballteam Ägyptens schafft das Unmögliche, es rettet sich mit einem 2:0 gegen Algerien in die Relegation. Die ägyptischen Fußballfans sind begeistert.

Der Ägypter Mohamed Zidan (l) im Zweikampf mit dem Algerier Halliche Rafik (r). Bild: dpa

KAIRO taz | Wenn 18 Millionen Einwohner einer Stadt gleichzeitig auf die Straße strömen, dann gleicht das einem menschlichen Erdbeben. Auf der Richterskala wurden bestimmt beträchtliche Erschütterungen gemessen, als es am Samstag niemanden mehr in Kairo nach dem Abpfiff des WM-Qualifikationsspiels zwischen Ägypten und Algerien zu Hause hielt. Die Straßen verwandelten sich in ein Farbenmeer. Das Fußballteam hatte 2:0 gewonnen. Auf allen größeren Verkehrswegen bildeten sich binnen Minuten Autokorsos, die sich im allgemeinen Chaos stundenlang zwischen tanzenden Menschen keinen Meter mehr bewegten.

So groß das Glück über den eigenen Sieg, so groß war auch die Schadenfreude, dem Erzrivalen Algerien eins ausgewischt zu haben. Im Kairoer Armenviertel Dar Essalam wurde ein Esel mit den algerischen Nationalfarben bepinselt und von Kindern und Jugendlichen durch die Gassen getrieben.

Eigentlich hatte niemand mehr im Land am Nil daran geglaubt, dass Ägypten noch eine Chance hätte, sich neben der Elfenbeinküste, Nigeria und Kamerun als viertes afrikanisches Land für die Fußball-WM in Südafrika zu qualifizieren. Zwar hatte das Spiel gut für die Ägypter angefangen, als die "Pharaos" bereits in der zweiten Minute das erste Tor erzielten. Aber das Team musste mindestens mit zwei Toren Unterschied gewinnen, um in der Tabelle der Gruppe C mit Algerien gleichzuziehen und ein Entscheidungsspiel zu erzwingen. Danach sah es nicht aus, als in den letzten Minuten des Spiels 2.000 angereiste Algerienfans feierten und vor laufenden Kameras den 80.000 ägyptischen Fans den Mittelfinger zeigten. Ägypten wäre fast an der WM-Qualifikation gescheitert. Fast. Denn es kam anders: Der Referee ließ sechs Minuten nachspielen, und in der fünften Minute der Nachspielzeit fiel das umjubelte 2:0. Nun müssen beide Teams mit gleichem Punktestand und gleicher Tordifferenz zum alles entscheidenden Spiel am Mittwoch auf neutralem Boden in der sudanesischen Hauptstadt Khartum antreten. Der Ausbruch des ägyptischen Nationalismus überraschte in dem politisch lethargischen Land, das seit fast drei Jahrzehnten von Präsident Husni Mubarak autokratisch geführt wird.

"Die Ägypter haben die Hoffnungen auf Reformen verloren, zeigen sich ohnmächtig gegenüber einer allmächtigen Regierungspartei, die sie ihrer Rechte beraubt. Aber für ein Fußballspiel wird die ganze Nation mobilisiert", schrieb die Oppositionszeitung al-Wafd am Sonntagmorgen und fragte: "Warum können wir nicht die gleiche Energie aufbringen, die Probleme unseres Landes anzugehen und es zu verändern?"

Die ägyptischen Sicherheitskräfte dürften froh sein, dass der Spuk vorbei ist: Nachdem der Mannschaftsbus des algerischen Teams bei der Ankunft in Kairo mit Steinen beworfen worden war und drei algerische Spieler verletzt worden waren, reagierten die Sicherheitsbehörden am Spieltag mit einem Großaufgebot von 13.000 Polizisten. Nicht nur das Stadion, auch die algerische Botschaft wurde von Bereitschaftspolizei geschützt. Vor allem im Internet, auf YouTube und Facebook, verbreiteten Fans gegenseitige Kriegserklärungen.

Algerische Fans gaben dem Mel-Gibson-Film "Braveheart" einen neuen Sinnzusammenhang, indem sie ihn arabisch untertitelten und die Algerier aufriefen, gegen die Ägypter in den Kampf zu ziehen. Die ägyptischen Fans reagierten mit einem Internetclip aus einem Film über den Sturz Hitlers; hier bespricht der Diktator per Untertitel mit seinen Generälen verzweifelt seine Strategie, das algerische Team doch noch zu schlagen. Andere algerische Videoclips zeigten das ägyptische Team mit hineinkopierten Gesichtern bekannter ägyptischer Schauspielerinnen. Die Ägypter antworteten mit der gleichen Methode und ließen das algerische Team virtuell als Bauchtänzerinnen antreten.

Nicht zuletzt wegen des Erfolgs der Gastgeber und des Aufschubs der Entscheidung waren die erwarteten schweren Krawalle während und nach dem Spiel in Kairo ausgeblieben. Ein ägyptischer Polizist, der in der Nacht nach dem Spiel damit beschäftigt war, erfolglos den Verkehr unter den feiernden Ägyptern doch noch in Gang zu bringen, fasste es so zusammen: "Der Sicherheitsalbtraum ist vorbei."

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