Hertha BSC: Das Gift der Euphorie

"Wir dürfen nicht spinnen, ein Uefa-Cup-Platz ist ambitioniert genug": Bei Hertha BSC ist man bemüht, den Erfolg kleinzureden. Dabei könnten die Berliner wieder an die Spitze stürmen.

Feiern, aber bloß nicht übermütig werden: Pantelic (li.) und Nicu. Bild: reuters

Das hörte sich schon ulkig an, als Dieter Hoeneß, der Manager von Hertha BSC, am Mittwoch erklärte: "Uns ist es bisher wunderbar gelungen, im Windschatten von Hoffenheim zu bleiben. In dieser Rolle fühlen wir uns sehr, sehr wohl." Der Dorfclub an der Tabellenspitze dient dem Großclub aus der Kapitale demnach als Windschattenspender. Wobei man auch von den Badenern ständig leicht genervt zu hören bekommt, dass dieser Platz da ganz vorne gar nicht der ihnen angemessene wäre - als wäre es ihr sehnlichster Wunsch, endlich einmal auf Normalmaß zurückgeschraubt zu werden.

Der Kampf um die deutsche Meisterschaft gleicht einem Radrennen. Die vorderste Position gilt weit vor dem Finale als undankbar. Bayern wird ja sowieso Meister, das behaupten zumindest die meisten. Die temporären Tabellenführer hingegen fürchten, das Gift der Euphorie könnte ihre heilige Ordnung, die Basis ihres Erfolgs, zerstören.

So geht auch Hertha das Spiel heute Abend in Bielefeld mit gemischten Gefühlen an. Drei Punkte wären schön, sagt Hoeneß, aber die daraus resultierende Tabellenführung habe für ihn keine Bedeutung. Er warnt vielmehr vor den Gefahren des grellen Rampenlichts. Die Hybris könnte Hertha ihrer größten Stärke berauben: der mannschaftlichen Geschlossenheit. "Wir dürfen nicht spinnen, ein Uefa-Cup-Platz ist schon ambitioniert genug", sagt Hoeneß.

Bislang war man in dieser Bundesligasaison nirgendwo so sicher vor der Euphorie wie in Berlin. Die vielen nicht eingehaltenen Heilsversprechen der Hertha haben die Hauptstädter in den vergangenen Jahren zu Agnostikern werden lassen. An Titel glaubt hier keiner mehr. Dass Hertha als Tabellendritter die erfolgreichste Hinrunde seiner Vereinsgeschichte spielte, wurde geflissentlich ignoriert. Das Stadion blieb wie stets in der Vergangenheit halb leer. Von Aufbruchsstimmung keine Spur. Und auch auf dem Platz haben die Herthaner ihre Gefühle fest im Griff. Unabhängig vom Spielstand handelt das Team eisern nach der Maxime: "Man muss das Richtige und nicht das Schöne tun." Das taktische Rüstzeug dafür hat ihnen ihr gewiefter Trainer Lucien Favre gegeben.

Die vielen knappen, aber wenig souverän erzielten Erfolge beugten zudem dem Überschwang vor. In den so unsicheren Spekulationszeiten empfiehlt es sich, auf einen Herthasieg mit einem Tor Vorsprung zu setzen. Einer der sichersten Anlagetipps. Schon acht Mal gelang den Berlinern dieses Kunststück. Vergangenen Samstag kürte Frankfurts Trainer Friedhelm Funkel Hertha nach deren 2:1-Erfolg gegen die Eintracht zum Meister der Effektivität.

Ebenfalls erwartungsdämpfend wirken Herthas leere Kassen. Für die Rückrunde hat der Verein wegen der vielen Verletzten 1,5 Millionen Euro für zwei neue Spieler bereitgestellt. In dieser Preisklasse schaut sich die Konkurrenz auf den vorderen Plätzen erst gar nicht um.

Auch nach der Eroberung des zweiten Tabellenranges ist man in Berlin bemüht, keine Euphorie aufkommen zu lassen. Der Ausfall der verletzten Stammkräfte Marko Pantelic und Gojko Kacar - möglicherweise kommt noch der rückenlädierte Arne Friedrich hinzu - scheint in dieser Hinsicht geradezu hilfreich zu sein. Genauso wie der Überraschungserfolg der Bielefelder in Bremen. Favre: "Sie haben dort 2:1 gewonnen, wo wir 1:5 verloren haben."

Sollte aber Hertha tatsächlich am Freitag mit einem Sieg notgedrungen aus dem Windschatten der Hoffenheimer treten, dürften fortan auch die gut funktionierenden Euphoriebremsen in Berlin ihren Dienst versagen. Dass die Mannschaft größerem Erwartungsdruck gewachsen ist, bezweifelt selbst die eigene Vereinsführung.

Manager Dieter Hoeneß spricht von der Kehrseite des Positiven - gebetsmühlenartig.

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