Zehn Milliarden Euro für die Spiele: Straßenköter beißt sich durch

Rio de Janeiro entledigt sich seiner Komplexe und darf nach dem Votum des Internationalen Olympischen Komitees die Sommerspiele im Jahre 2016 ausrichten.

An der Copacabana in Rio de Janeiro wird die Entscheidung des IOC mit Jubel begrüßt. Bild: ap

Wenn man auf dem Flughafen in São Paulo am Freitag einen missmutigen Wachmann nach dem Sieger von Kopenhagen fragte, dann bekam man eine korrekte Antwort: "Rio hats geschafft", sagte er mit finsterer Miene; "so eine Geldverschwendung", erklärte der Wachmann dann, der Ricardo Perin heißt.

Über zehn Milliarden Euro sollen die Spiele 2016 kosten. "Das Geld sollte lieber in Schulen, Krankenhäuser, Wohnungen gesteckt warden", findet Perin. Von seinem 350-Euro-Lohn kann sich der junge Familienvater nicht einmal Bausparkredite leisten.

An der Copacabana wurde derweil das Votum des IOC, die Sommerspiele 2016 an die "Wunderbare Stadt" zu vergeben, mit großer Begeisterung aufgenommen. In Radio und Fernsehen wurden immer wieder Ausschnitte von der Endrunde gesendet, bei der Madrid, Tokio und Chicago der Zuckerhut-Metropole unerwartet klar unterlegen waren. Nach zwei gescheiterten Bewerbungen hat es jetzt geklappt. Es ist vor allem der Triumph eines Mannes: Luiz Inácio Lula da Silva. "Es ist an der Zeit, dass das Olympische Feuer in einem tropischen Land entzündet wird", hatte der Präsident in einer brillanten Rede geworben.

95 IOC-Mitglieder stimmten in Kopenhagen ab. Von den 106 IOC-Mitgliedern waren 104 anwesend. Die 7 IOC-Vertreter aus den Ländern der Bewerberstädte Chicago, Madrid, Rio und Tokio waren im ersten Wahlgang nicht stimmberechtigt. IOC-Präsident Jacques Rogge wählt traditionell nicht, IOC-Mitglied Kun-Hee Lee aus Südkorea ist derzeit suspendiert.

Nach drei Wahlgängen stand der Sieger Rio de Janeiro fest. In der ersten Runde erhielt Favorit Chicago nur 18 Stimmen - und schied aus. Tokio erhielt 22, Madrid 28, Rio 26. Im zweiten Wahlgang blieb Tokio mit 20 Stimmen auf der Strecke, für Rio votierten 46 IOCler, für Madrid 29. In der dritten Runde gewann Rio mit 66:32 Stimmen.

Nach dem Sieg brach Lula in Tränen aus. "Da wir ein koloniales Land waren, hatten wir uns angewöhnt, uns nichts zuzutrauen. Wir dachten, manche Dinge könnten nur andere Länder schaffen." Vor vielen Jahrzehnten prägte der Dramatiker Nelson Rodrigues dafür den Begriff Straßenköter-Komplex. Lulas Politik der letzten sieben Jahre hat diese Haltung erschüttert. Gezielt hat er die Position Brasiliens als regionale Führungsmacht ausgebaut und das 190-Millionen-Land als Akteur und Stimme des Südens auf der Weltbühne platziert. Seiner konservativen Wirtschaftspolitik kam eine boomende Weltkonjunktur zugute, sodass Millionen Brasilianer der Armut entkamen. Der Westen schätzt diesen sozialdemokratischen Pragmatismus.

Starregisseur Fernando Meirelles, der die Bewerbung Rios mit Werbefilmen unterstützt hatte, mahnt allerdings: "Viel wird von der Wachsamkeit der Bürger abhängen." Man müsse den Politikern genau auf die Finger schauen, ansonsten drohe wieder eine Geldverschwendung. Kaum jemand bezweifelt, dass Rio in der Lage ist, heitere Spiele zu organisieren. Doch ähnlich wie bei der Fußball-WM 2014 haben im Organisationskomitee korrupte Funktionärsfürsten das Heft in der Hand.

Auch die Politiker Rios, mit denen sich Lula verbündet hat, sind kaum vertrauenserweckender. Wirkt der Einsatz des Präsidenten für die Armen authentisch, so war und ist das größte Hindernis für ein gerechteres Brasilien der allgegenwärtige Politsumpf, in dem seit je dieselben Kräfte den Ton angeben. Lula hat sich damit längst abgefunden. Auch deswegen ist die Skepsis von Wachmann Ricardo berechtigt - Komplexe hin oder her.

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