Sansibar will in die Fifa: Und es gibt Fußball

In Sansibar hat Fußball mehrere Funktionen: eine sportliche, eine soziale und eine politische. Der Kampf um die Unabhängigkeit spülte Comedian Oliver Pocher auf den Posten des Nationaltrainers

Ein Held, der einen deutschen Nationalspieler (im Hintergrund) auszuspielen weiss: Bemalte Tür in Stone Town. Bild: klaus raab

Die besten Stunden sind die Stunden zwischen zwei und sieben am Sonntag. Dazwischen liegen 90 Minuten Hinweg auf einem voll bepackten Kleintransporter, 90 Minuten Rückweg und: 90 Minuten Fußball gegen die Deutschen.

Sonntag ist Fußballtag in Sansibar. Kleintransporter heißt: drei Sitzplätze im Führerhäuschen, vier hinten auf den Radkästen der Ladefläche - und 18 Stehplätze. Beachtlich legt sich der Wagen in die Kurven, und wenn der Fahrer zum Überholen eines anderen Kleintransporters ansetzt, auf dem andere Männer in anderer Fußballkleidung stehen, rufen sie: "Schneller!" Sie hüpfen und rufen: "Schneller, schneller!" Und der Fahrer gehorcht.

Orangefarbene Trikots hat Edi besorgt, der Kioskbesitzer, der die Spiele des Teams organisiert. Es gibt Teams, die Arizona heißen, Texas, Peshawar Camp oder Berlin Boys. Vorstellungen von Welt und Weite sind in die Namen eingeflossen. Ethnologen nennen das: "In der Welt sein" - auch wenn man die eigene Insel nie verlassen hat. Und sie - 20, 25 junge Männer aus derselben Nachbarschaft in Stone Town, der Hauptstadt Sansibars - nennen sich Lebanon Brothers.

Donnerstags, spätestens freitags schreibt Edi auf die kleine Schiefertafel an der Hauswand, wer am Sonntag der Gegner ist. Diesmal spielen sie gegen Germany, das Team aus Mangapwani, einem Dorf im Norden Sansibars. Die Männer dort haben irgendwo einen Satz verwaschener Trikots der deutschen Nationalmannschaft aufgetan.

Sonntag, Fußballtag auf Sansibar. Bild: klaus raab

Die Deutschen gewinnen übrigens 5:3. Aber das ist egal.

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Kassim sagt: "Irgendwann kennen wir einfach jeden in Sansibar." Und das sei das Wesentliche: dass man sich ein Netz von Leuten schaffe, die da seien, wenn man sie brauche. Das wird im Kleinen so gehandhabt und im Großen auch. Das Lebanon-Team selbst ist ein enges Netz. Edi ist der Mann, der die Fäden zieht. An ihn muss man sich wenden, falls es ein Problem gibt; wenn ein Verwandter stirbt etwa. Denn Beerdigungen sind teuer. Edi sorgt dann dafür, dass jeder aus dem Team, der kann, einen kleinen Beitrag leistet.

Wie das Netz im Großen gesponnen ist, kann man sehen, als Mukrims Großvater stirbt: Mukrim spielt für Lebanon in der Abwehr. Nun sind die Deutschen aus Mangapwani gekommen, eineinhalb Stunden auf dem Kleintransporter. Sie lassen ein wenig Geld da, damit Mukrims Familie, die keiner von ihnen kennt, die Beerdigung bezahlen kann.

Der Leistungssport hat seine Unschuld verloren. Das Thema Doping bestimmt die Berichterstattung. Und doch spielt Sport in der Gesellschaft eine große Rolle. Die taz-Leibesübungen wagen sich mit der Serie „Sport bewegt“ an die Randbereiche des Sports heran. Was bewegt Menschen, Sport zu treiben? Welche Arbeit leisten Vereine? Warum entscheiden sich Jugendliche für den Leistungssport? Hat Sport eine Zukunft? Der erste Teil der Serie („Jugend trainiert für Olympia“) erschien am 21. September, zuletzt ging es um Kinderturnen.

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Fußball ist ein soziales Ereignis in Sansibar. Und irgendwo ist in Stone Town immer Fußball: im Fernsehen, in den Playstation-Läden, in denen Jugendliche eine thailändische Version von Fifa-World-Cup spielen. Und an den schwarzen Tafeln, die vor Häusern hängen und die Begegnungen des nächsten Spieltags der englischen Premier League ankündigen. Die wichtigste Veranstaltung der Woche aber ist das Sonntagsspiel.

Gut: nach dem Freitagsgebet. Die Moschee ist fußballfreie Zone.

Kassim zieht daher immer sein Hemd aus, wenn der Muezzin ruft. Es ist ein Trikot seines Lieblingsvereins, des FC Liverpool. "In der Moschee kannst du halt nicht alles tragen", sagt er. Die Strengen unter den älteren Männern rümpfen die Nase, wenn man die Schultern nicht bedeckt hat oder kurze Hosen trägt - und wenn man ein Fußballtrikot trägt. T-Shirts mit aufgedruckter Rückennummer lenkten den, der in der Moschee dahinter stehen müsse, von Gott ab, sagt Kassims Vater.

Also dreht Kassim das Trikot auf links, sodass die Rückennummer kaum noch zu erkennen ist, zieht es wieder an - und erst dann geht er beten. "Erst kommt Gott", sagt Kassim. "Aber Fußball kommt gleich danach." Alte Weisheit, verbreitet von Farouq Karim, dem Vizepräsidenten des Fußballverbands der Inseln, der Zanzibar Football Association.

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Sansibar würde so gerne dazugehören: Über dem Amaan-Stadion weht die Fifa-Fahne. Bild: klaus raab

Der Spruch gilt schon ewig in Sansibar, sofern man etwas großzügig mit der Bedeutung des Wörtchens "ewig" umgeht. Denn Sansibar hat eine lange Fußballtradition. Die Sansibarer eigneten sich den Sport an, als die Briten ihn zu Kolonialzeiten mitbrachten. Sansibar hat heute bei 800.000 Einwohnern rund 600 Fußballvereine - Freizeitteams wie die Lebanon Brothers nicht mitgerechnet.

Als die Sansibarer sich den Fußball als ihren Sport aneigneten, ist er bald schon mehr gewesen als nur Bewegung mit dem Ziel körperlicher Ertüchtigung. Die gehört dazu - aber dass Fußball als soziale Erfahrung wichtig ist und wie politisch er schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besetzt war, darüber sind schon Bücher geschrieben worden.

Wie in vielen Ländern, die unter britischer Verwaltung standen, wurden auch in Sansibar im Sport oft politische Konflikte ausgetragen. Es gab die offenen Varianten des Protests: Streiks, Demonstrationen, Petitionen, gegen das Vorhaben der Briten etwa, ehemaligen Sklaven das Recht auf Land zu verweigern.

Und es gab Fußball.

Gegen die Übermacht der Sansibarer im Fußball konnten die Briten nichts ausrichten, wenn sie sich auf Spiele einließen - was sie oft genug taten. Wenn die Sansibarer auf den Platz gingen, spielten sie zunächst einmal einfach Fußball. Aber eigentlich machten sie von unten Politik. In Heimspielen vor hunderten von sansibarischen Zuschauern machten sie die David-gegen-Goliath-Nummer. Mächtiger als politische Rhetorik, wenn man Gemeinschaft herstellen wollte.

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Bis heute ist Fußball in Sansibar politisch geblieben. Als sich der deutsche Comedian Oliver Pocher 2005 für seine ProSieben-Sendung "Rent-a-Pocher" als Nationaltrainer Sansibars mieten ließ, ging es nur oberflächlich um Pocher. Eigentlich ging es um Sansibars Unabhängigkeit.

Die Briten sind weg, Sansibar ist auch kein omanisches Sultanat mehr. Es ist heute eine selbst verwaltete Insel - nun gehört sie aber zu Tansania. Und Mwinjuma Haji Saadat, ein Funktionär des sansibarischen Fußballverbands, sagt: Tansania und Sansibar, "wir sind zwei Nationen". Zumindest empfindet er es so, weil Festland und die Inseln erst nach der Kolonialzeit zusammengeschlossen wurden. Bei gemeinsamen Wahlen ist stets Sansibar das einzige Wahlgebiet, in dem die islamische Oppositionspartei verlässlich auf Augenhöhe mit der postsozialistischen Regierungspartei liegt.

Und so hat Sansibar mit der Zanzibar Football Association zwar einen eigenen Verband, der 1926 - früher als die meisten Verbände Ostafrikas - gegründet wurde, und eine eigene Nationalmannschaft. 2006, bei der alternativen Weltmeisterschaft für die Mannschaften der von der Fifa nicht anerkannten Staaten in Hamburg wurde Sansibar Zweiter hinter Nord-Zypern. Nur Mitglied des Weltverbands Fifa ist Sansibar eben nicht, denn die Fifa nimmt nur Mannschaften von als unabhängig anerkannten Staaten auf.

Die Unabhängigkeit des Fußballverbands wäre ein Motor für sansibarische Separatisten. Oliver Pocher sollte das Zugpferd für die Fifa-Aufnahme werden. Er verschaffte dem sansibarischen Verband Öffentlichkeit, ein deutsches Filmteam startete eine Unterschriftensammlung für die Fifa-Aufnahme Sansibars. Erfolglos bislang und auch mit schlechten Aussichten. Der Fußball hatte, nicht zum ersten Mal, einen politischen Einschlag bekommen.

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Es ist Mittwoch, und auf dem großen Sportplatz in Stone Town, zwischen Meer und Mao-Tse-Tung-Stadion, trainiert das Erstliga-Team aus Mlandege in der Abendsonne. Der Teamsponsor steht am Rand, Ally Saleh. Er ist Journalist, und einmal musste er wegen eines politischen Artikels ein paar Tage ins Gefängnis.

Er ist berühmt, ein Patron, und wer verehrt sein will, sponsert ein Fußballteam. "Fußball", sagt Ally Saleh, "ist wichtig, klar", wenn man ihn um ein Interview bittet. "Noch lieber würde ich aber über Politik sprechen." Jederzeit, sagt er, allerdings nicht an diesem Tag.

Der FC Liverpool spielt am Abend nämlich in der Champions-League.

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