Instrumentalisierung der Spiele: Gold für Boykott

Chinas Führung will nicht, dass die Spiele politisiert werden. Dabei zeigt die Geschichte eines sehr deutlich: Kaum ein Land hat Olympia so oft boykottiert wie die Volksrepublik.

Disziplin Olympia-Boykott: China kam auch zu den Spielen in München 1972 nicht. Bild: dpa

BERLIN taz Chinas Führung wird nicht müde, vor einer Politisierung der Olympischen Spiele zu warnen. Dabei weiß niemand so gut wie die chinesischen Kader, dass die Spiele wie generell der Sport politisch sind und sich durchaus für politische Zwecke missbrauchen lassen. So nutzte Peking etwa 1971/72 bei der politischen Annäherung an Washington den Sport in Form der Pingpongdiplomatie meisterhaft zur Einleitung einer außenpolitische Kehrtwende.

Heute ist im Politbüro kein Geringerer als Vizestaatspräsident Xi Jinping, der als potenzieller Nachfolger von Staats- und Parteichef Hu Jintao gilt, für die Pekinger Spiele zuständig. In der Frage der Instrumentalisierung der Olympischen Spiele für die eigene Politik ist die Regierung in Peking sehr erfahren. Denn kaum ein Land hat so oft die Spiele boykottiert wie die Volksrepublik.

Schon Chinas erste Olympiateilnahme 1932 in Los Angeles war politisch hoch brisant und von höchster nationalistischer Symbolik. Denn Japan hatte gerade die Mandschurei besetzt und dort seinen Marionettenstaat Mandschukuo gegründet. Um für diesen international kaum anerkannten Staat zu werben, sollte der Sprinter Liu Changchun zu den Spielen geschickt werden. Doch Chinas nationalistischer Warlord General Zhang Xueling der selbst aus der Mandschurei stammte, durchkreuzte den Plan. Und als der Sprinter Liu sich weigerte, für Mandschukuo anzutreten, zahlte General Zhang ihm persönlich die Reise nach Los Angeles, um dort als Vertreter Chinas anzutreten. Liu war dort der einzige und überhaupt erste chinesische Sportler bei Olympischen Spielen. Zwar schied er bereits in der Vorrunde aus, aber dennoch hatte China politisch gepunktet.

Doch bereits 1956 boykottierte China von sich aus die Spiele in Melbourne. Denn das IOC hatte kurz zuvor auch Taiwan, offiziell Republik China genannt, wieder als Mitglied akzeptiert und damit gegen Pekings 1-China-Politik verstoßen. Die Volksrepublik, die die Insel bis heute für sich reklamiert, blieb darauf den Spielen fern und trat 1958 sogar aus dem IOC aus.

China boykottierte aus den gleichen Gründen auch 1960 die Spiele in Rom, 1964 in Tokio, 1968 in Mexiko-Stadt, 1972 in München und 1976 in Montreal. 1979 - mit der von Deng Xiaoping eingeleiteten Reform und Öffnungspolitik - kehrte die Volksrepublik, die inzwischen auch statt Taiwan den chinesischen UN-Sitz eingenommen hatte, ins IOC zurück. Taiwan darf seitdem nur noch als "Chinese Taipei" an den Spielen teilnehmen.

Bei den Winterspielen 1980 in Lake Placid nahm China dann nach 24 Jahren Boykott erstmals wieder an Olympischen Spielen teil. Es waren die ersten Winterspiele überhaupt mit chinesischer Beteiligung. Die Sommerspiele in Moskau im selben Jahr wurden von der Volksrepublik jedoch gleich wieder boykottiert. China schloss sich wegen des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan, einem Nachbarland, dem von den USA angeführten Olympiaboykott vieler westlicher Staaten an.

Bei der Retourkutsche des Ostblocks, dem Boykott der Spiele in Los Angeles 1984, machte China nicht mit. In Los Angeles gewann der Schütze Xu Haifeng die erste Goldmedaille für China. Seitdem will Peking von Boykotten nichts mehr wissen und verweigerte etwa Nordkorea die Gefolgschaft beim Boykott der Spiele von Seoul 1988.

Heute verspricht sich China mehr politischen Gewinn von einer Teilnahme. Schließlich zählt das Land inzwischen zu den Favoriten im Medaillenspiegel. Und mit Gold lässt sich leichter Innenpolitik wie auch Propaganda betreiben. Das funktioniert aber nur, wenn auch alle mitspielen. SVEN HANSEN

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