Private Viewing mit Soziologin: "Schweini hat Zukunft"

Die Geschlechterforscherin Sabine Hark schaut das Achtelfinale Brasilien gegen Chile. Sie sagt: "Der DFB ist schon viel weiter als die Geschlechterstudien".

Gute Pizza und unaufgeregtes Abhängen: Sabine Hark (links) in einem Kreuzberger Biergarten. Bild: Ines Kappert

BERLIN taz | Die Professorin für Geschlechterforschung begeistert sich für Fußball, oft zieht sie sich am Samstag in eine Skybar zurück und sieht sich die Bundesliga an; oft ist sie dann die einzige Frau. "Dabei sind das in der Regel sehr angenehme Orte", sagt Hark, "es geht nur um Fußball, alles andere spielt keine Rolle. Das mit den Freizeitoasen haben sich die Männer gut eingerichtet."

Gleich beginnt Brasiliens Spiel gegen Chile, wir sitzen in einem Kreuzberger Biergarten nahe dem Landwehrkanal. Mindestens ebenso viele Frauen wie Männer sind da und trinken Bier, die Mehrheit ist für Chile. Auch Hark, aber sie tippt auf 3:1 für die Brasilianer.

Was ist von der neuen Begeisterung von Frauen fürs Public Viewing zu halten? "Frauen wollen heute bei der großen Party dabei sein. Warum auch nicht?" Aber warum interessieren sie nur die Großereignisse? Warum partizipieren sie an der maskulinen Pausenkultur nicht auch übers Jahr hinweg? "Tja, blöd. Ich finde ja, sie verpassen etwas. Weibliche Präsenz wird in ehemaligen Männerdomänen zwar mehr und mehr akzeptiert, trotzdem ist unaufgeregtes Abhängen in der Öffentlichkeit noch immer ein männliches Privileg."

Jahrgang 1962, Professorin in Berlin, Bayern-München-Fan. Sie hat schon in einer Mädchenmannschaft gekickt, als es offiziell noch keinen Frauenfußball gab - Mitte der Siebziger: Leben auf dem Dorf. Hark hat es in guter Erinnerung.

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Sie leitet das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der TU Berlin; außerdem ist sie im Vorstand der Fachgesellschaft Geschlechterstudien in Deutschland. Schwerpunkt: Geschlechterforschung als kritische Ontologie der Gegenwart: Transformationen von Wissen - Technik - Mensch - Geschlecht.

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Zuletzt veröffentlichte sie "Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus" sowie die deutsche Übersetzung von Angela McRobbies "Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes".

Brasilien dominiert das Spiel, es will keine rechte Stimmung im Biergarten aufkommen. Aber die Pizza ist gut. Spannender als die Zuschauerinnen, überlegt Hark, fände sie, wie derzeit im Spitzenfußball neue Männermodelle beworben würden. "Gefragt ist der kommunikative, emotionale Mann, der die weltweite, neoliberale Aufwertung der sogenannten Softskills widerspiegelt. Schweinsteiger etwa. Weil er so viel auf dem Platz kommuniziert, bezeichnen ihn die Kommentatoren wahlweise als Herz oder Seele der Mannschaft. Früher hätte ihn eine solche Anteilnahme zum Weichei gestempelt, heute verkörpert er den neuen Mann, quasi die Zukunft."

Hark grinst und fährt fort: "Ballack hingegen ist ein Auslaufmodell. Es ist irre, wie schnell sich die Stimmung gegen ihn gewendet hat. Vor der WM war er noch Deutschlands Hoffnung, jetzt ist nicht mal mehr sicher, ob er ins Nationalteam zurückkehren wird. Natürlich vor allem, weil er verletzt ist, aber auch, weil man ihm nicht zutraut, sich in diese neue, uneitle Mannschaft integrieren zu können."

Mir geht dieses Loblied zu weit. "Nun mal halblang", entgegne ich, "die Spieler zeigen eine gewisse soziale Kompetenz, sie reden mehr, sie dürfen auch mal depressiv sein, sie halten zusammen und spielen den gewünschten Kompaktfußball …" Hark unterbricht mich: "… ohne deswegen auf Kreativität zu verzichten, wie ja viele meinen." - Ich lass mich nicht abwimmeln: "Richtig. Aber das macht den Profifußball doch längst nicht zum Motor einer neuen Männlichkeit, die weibliche Elemente wie Emotionalität und Fürsorge nicht mehr abwertet. Du übertreibst!" Nicht unbedingt, findet Hark: "Der Erfolg von Zweigeschlechtlichkeit basiert ja immer auf der Gleichzeitigkeit von Beharrungsvermögen und Flexibilität. Insofern haben wir es jetzt mit dem Modell des harten und gefühlvollen Mannes zu tun. Und das ist etwas Neues." Erstes Tor! Vier Minuten später: nächstes Tor! Hark freut sich: "Das zweite war echt gut."

Wir nutzen die Halbzeitpause, um über ihr neues Buchprojekt zu reden. Es soll eine Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Feminismus werden. Sie hatte sich das leichter vorgestellt, seufzt sie. Du willst Kernthesen wissen? Die Soziologin holt Luft: "Okay. 1. Die Alphamädchen verkörpern für mich die feministische Variante des Klassenkampfs. Sie propagieren eine Emanzipation für die weiße, bildungsaffine Elite. Nach dem Motto: Wer nach oben will, kommt auch nach oben. Ergo: Wer es nicht schafft, hat es auch nicht gewollt. 2. Die Verengung auf die Frage nach der Vereinbarung von Familie und Beruf kickt sämtliche Analysen etwa von Gewalt oder Missbrauch ins Abseits. 3. Unser Job ist es, dem ewigen Gendertainment entgegenzuwirken."

Und wie soll das gehen? "Eine Möglichkeit ist, das Begehren und das Wissen von Migrantinnen einzubeziehen, da bewegt sich so viel. So könnte man die doch sehr abgehobenen Gender Studies wieder mehr an eine soziale Bewegung anbinden." - "Na, wenn Aufmischen durch kulturelle Heterogenität das Ziel ist", sage ich, "dann lässt sich vom DFB noch einiges lernen." - "Allerdings, der DFB ist schon viel weiter als die Geschlechterstudien, das ist ja eine mehr oder weniger weiße Institution."

So, die zweite Hälfte beginnt, Hark will in Ruhe gucken. Gearbeitet wird morgen wieder.

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