BaWü baut "Werkrealschulen": Kritik am "Aussieben"

Baden-Württemberg hat für das neue Schuljahr die Hauptschulen zu "Werkrealschulen" umgebaut - und hält doch am dreigliedrigen Schulsystem fest.

Die Schwächsten der Schwachen - wen triffts? Nach der 9. Klasse wird entschieden: Weiter zum Realschulabschluss oder Abgang mit Hauptschulabschluss? Bild: dpa

STUTTGART taz "Individuelle Förderung" und "stärkere Berufsorientierung", so preist die schwarz-gelbe Landesregierung in Baden-Württemberg die neue "Werkrealschule". Die wird zum neuen Schuljahr eingeführt, das an diesem Montag beginnt. "Mogelpackung", "organisatorisches Monstrum" und "pädagogischer Rückschritt", halten Kritiker dagegen. Zwar gab es die Werkrealschule vereinzelt auch schon bisher, doch nun wurde das Konzept grundlegend erneuert. Doch was die Antwort auf die anhaltende Kritik an der Hauptschule sein sollte, steht nun selbst heftig in der Kritik.

Bislang gab es im Land 1.200 Hauptschulen. Davon wurden 525 zu Werkrealschulen umfunktioniert, etwa 400 bleiben eine übliche Hauptschule. Die Werkrealschule soll die Hauptschule ersetzen und gute Schüler in sechs Jahren zur mittleren Reife führen, womit die Landesregierung de facto am dreigliedrigen System festhält.

Neu an den Werkrealschulen ist vor allem die Berufsorientierung. Zunächst lernen alle Schüler bis zur neunten Klasse gemeinsam. In der achten und neunten Klasse wählen sie ein zusätzliches Wahlpflichtfach aus den Bereichen "Natur und Technik", "Wirtschaft und Informationstechnik" oder "Gesundheit und Soziales". Wer dann in der neunten Klasse in Mathe, Deutsch, Englisch und in dem Wahlpflichtfach mindestens die Note 3,0 hat und eine Empfehlung der Klassenlehrerkonferenz bekommt, darf die zehnte Klasse mit dem Werkrealschulabschluss beenden. Die anderen machen nach der neunten Klasse den Hauptschulabschluss.

Schon bei diesem "Aussieben" setzt die Kritik an. "Wir gehen davon aus, dass vielleicht ein Drittel der Schüler den Sprung in den zehnten Jahrgang schafft", sagt die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Doro Moritz. "Das stellt noch mal eine ganz deutliche Diskriminierung dar. Bereits in der fünften Klasse erfuhren die Schüler: Wir sind die Schwachen. In der neunten Klasse erfahren sie dann: Wir sind die Schwächsten der Schwachen."

Diese Notenhürde findet auch der baden-württembergische Handwerkstag "sehr unglücklich", sagt Geschäftsführer Hartmut Richter. Zu dem Zeitpunkt seien viele noch in der Pubertät, "wo sich oft noch viel tun kann". Doch obwohl der Handwerkstag eigentlich für eine längere gemeinsame Schule plädiert, bezeichnet er die Werkrealschule zumindest als "ein ganz spannendes Experiment". Begrüßt wird vor allem die Verzahnung mit den Berufsschulen.

Die Landesregierung sieht kein stärkeres Aussieben, sondern eine bessere individuelle Förderung im Vordergrund. So verweist ein Sprecher des Kultusministeriums auf regelmäßige Lernstandserhebungen.

Gegner des neuen Konzepts sehen hingegen eine weitere Gefahr in der dörflichen Ausdünnung und den daraus resultierenden weiten Anfahrtswegen der Schüler. Da sich nur zweizügige und damit größere Hauptschulen als Werkrealschule anmelden konnten, würden kleinere Hauptschulstandorte verloren gehen, warnt die bildungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, Renate Raststätter. "Das ist eine starke Bedrohung für Kommunen, die in den vergangenen Jahren viel Geld in attraktive Schulen gesteckt haben", sagt sie. Und auch für später befürchten die Kritiker eine Trennung der Schüler, die damit aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen werden könnten. Denn in der zehnten Klasse sollen sie an zwei Tagen pro Woche eine Berufsschule besuchen.

Kultusministerin Marion Schick (CDU) lässt von all dieser Kritik bislang nichts an sich heran. In einem Fernsehinterview sagte sie kürzlich: "Wer heute schon sagt, das wird nichts, der verfügt über seherische Fähigkeiten, die ich eigentlich noch nie bei jemandem gesehen habe." NADINE MICHEL

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